Die Nuklearindustrie ist eine Macht in Frankreich: Nach der Automobil- und der Luftfahrtindustrie ist sie die Nummer drei. Rund 250 Firmen mit 220'000 Mitarbeitern gehören dazu.
Das Volk stütze die Atomindustrie, sagt Isabelle Jouette, Sprecherin der Sociéte Française de l'énergie nucléaire, kurz SFEN: «Die Franzosen wissen, dass die französischen AKW sicher sind und effizient funktionieren.» Ausserdem schätzten sie, dass der Strom billiger sei als in anderen europäischen Ländern. Dies habe eine aktuelle Umfrage ergeben, so Jouette.
Atomindustrie in der Krise
Doch die französische Atomindustrie befindet sich in einer äusserst schwierigen Situation, wie der unabhängige Pariser Politberater und Co-Autor des vielbeachteten Statusberichts zur Nuklearindustrie, Mycle Schneider, sagt: «Das Staatsunternehmen Areva – selbsternannter Leader im Nuklearbereich – ist bankrott.» Ausserdem sei der grösste Stromproduzent EDF hochverschuldet.
Die Gründe sind laut Schneider vielfältig: So sind die Energiepreise im Keller, und das Prestigeprojekt der französischen Nuklearindustrie, der neuartige EPR-Reaktor, kommt nicht voran. Er kann auch kaum mehr ins Ausland verkauft werden. Ausserdem will die Regierung den Anteil des Atomstroms am französischen Strommix von drei Vierteln auf die Hälfte reduzieren.
Atomkraft rentiert nicht mehr
SFEN-Sprecherin Jouette will trotzdem nicht schwarz sehen: Strom aus Sonne und Wind werde zwar immer günstiger, doch die Nuklearindustrie bleibe konkurrenzfähig. Das glaubt Politberater Schneider nicht. Zwar würden nach wie vor an verschiedenen Orten auf der Welt neue Reaktoren geplant und teils auch gebaut; doch sie liessen sich nirgends mehr wirtschaftlich betreiben.
Vom Argument der Branche, die Atomkraft sei wichtig für die Reduktion des CO2, hält er ebenfalls nichts. Frankreich könne problemlos 20 Atomkraftwerke abschalten, ohne den CO2-Ausstoss zu erhöhen. Denn ein Grossteil der 58 AKW in Frankreich würden gar nicht benutzt, «weil man schlicht den Strom nicht verkaufen kann».
Viel Strom wird verschwendet
Ausserdem werde in Frankreich «unglaublich verschwenderisch» mit Strom umgegangen, was es möglich mache, den Strom einiger weiterer AKW einzusparen, so Schneider weiter. Drittens sei es heute erwiesen, dass die Lücke, die abgeschaltete Atomkraftwerke hinterlassen, problemlos mit Strom aus erneuerbaren Quellen gefüllt werden könne.
Trotz alledem sei eine Neuausrichtung der Energiekonzerne, wie sie derzeit in Deutschland und ansatzweise auch in der Schweiz im Gange ist, in Frankreich nicht auszumachen, bedauert Schneider. Branchenvertreterin Jouette teilt diese Einschätzung, doch Bedauern äussert sie nicht: Solches sei auch gar nicht nötig, so Jouette; zwar erlebe die französische Nuklearindustrie derzeit schwierige Zeiten, tot sei sie aber noch lange nicht.