Es gebe vor allem zwei Gründe für den niedrigen Ölpreis, sagt Francesca Romano von der Schweizer Erdölvereinigung. «Auf der einen Seite haben wir ein Überangebot, und zwar auf beiden Seiten des Atlantiks.» Dank der umstrittenen Fördermethode, dem Fracking, produziert die USA mittlerweile einen grossen Teil des benötigten Öls im eigenen Land. Noch vor vier Jahren hat die grösste Volkswirtschaft der Welt die Hälfte des Öls importieren müssen. «Auf der anderen Seite produziert die Opec, die Vereinigung der erdölexportierenden Staaten, momentan mehr als ihre Förderquote von 30 Millionen Fass pro Tag», sagt Romano.
Während das Angebot weiter steigt, schrumpft gleichzeitig die Nachfrage. Das liegt vor allem an der schwächelnden Weltwirtschaft. «Die Zahlen aus China sind nicht sehr ermutigend und in Europa spricht man teilweise von einer Rezession.» Die Folge: Weil die Industrie voraussichtlich weniger produziert, braucht sie auch weniger Schmierstoff.
Zwist in der Opec ist vorprogrammiert
Überraschend für viele ist, dass die geopolitischen Spannungen, etwa in der Ukraine oder dem Irak – anders als sonst – diesmal keinen Einfluss auf die Ölpreise haben. Antoine Halff von der Internationalen Energieagentur begründet das mit der nach wie vor hohen Ölproduktion.
Bei der Frage, wie es weitergeht mit den Ölpreisen, richten sich alle Augen jetzt auf die Opec. Ende November werden die Mitglieder entscheiden, ob sie die Fördermengen drosseln, um die Preise zu stabilisieren. Doch der Ölminister von Kuwait liess bereits durchblicken, dass das Kartell den Ölhahn vorerst nicht weiter zudrehen will. Dies sehr zum Ärger anderer Opec-Mitglieder wie Algerien oder Venezuela, die einen höheren Ölpreis dringend bräuchten, um ihr Staatsbudget zu sanieren.
USA bald grösster Erdölproduzent?
Hintergrund sei der veränderte Ölmarkt, sagt Halff. Da es neue Anbieter am Ölmarkt gebe, allen voran die USA, werde eine Kürzung der Opec-Produktion nicht unbedingt zu steigenden Preisen führen, sagt er. Denn in den USA werde schon Ende kommenden Jahres mehr Öl produziert als in den Opec-Ländern.
Die neuen Machtverhältnisse passen der Opec nicht. Um Macht gegenüber dem Westen zurückzugewinnen, könnten sie daher versucht sein, mit Dauer-Niedrigpreisen die neuen Konkurrenten aus dem Markt zu drängen. Denn wenn der Ölpreis zu niedrig ist, also unter 77 Dollar pro Fass fällt, lohnt sich etwa die Schiefergas-Förderung in den USA nicht mehr.
Preise dürften tief bleiben
Den Opec-Leadern, allen voran Saudi-Arabien, wäre das nur recht. Es deute vieles darauf hin, sagt auch Romano von der Erdölvereinigung, dass «Saudi-Arabien im Moment eine Preisreduktion in Kauf nimmt, um so die Marktführung behalten zu können».
Leidtragende dieses Machtkampfs wären Länder wie Russland, das ein anhaltend niedriger Ölpreis in eine ernsthafte Krise stürzen würde. Das russische Finanzhaus Renaissance hat berechnet, dass Russland mit einem Ölpreis unter 90 Dollar in eine Rezession rutschen könnte. Rund drei Viertel der russischen Exporte hängen direkt oder indirekt am Ölpreis.
Saudi-Arabien – als Verbündete der USA – könnten dagegen auch mit einem Ölpreis von 80 Dollar gut leben, wie die Regierung vor einigen Tagen wissen liess. Kurzfristig könnte der saudische Haushalt zwar leiden, langfristig habe man aber genug Reserven. Es gibt also eine Menge Gründe, sich auf einen längerfristig niedrigen Preis einzustellen.
(roso)