Mächtige Personen lassen Journalisten oft etwas warten. Nicht so Margrethe Vestager. Zu meiner Überraschung holt sie mich sogar persönlich im Wartezimmer ab und führt mich in ihr Büro. Sie setzt damit gleich zu Beginn ein kleines Zeichen.
Vestager erzählt, vor Jahren habe sie ein Buch von Vaclav Havel gelesen. Darin schildere er seinen Weg vom Dissidenten zum Präsidenten der Tschechischen Republik und wie die Macht ihn langsam verändert habe, bis er geglaubt habe, auch als Privatperson bevorzugt behandelt werden zu müssen. «Aber die Macht gehört nicht mir persönlich, sie ist ans Amt gebunden», sagt sie. Darum wolle sie den Menschen ein wenig zeigen, wer sie sei – und deshalb habe sie mich persönlich abgeholt.
Noch etwas fällt auf: Politikerinnen wie sie haben bei einem Interview in der Regel einen Pressesprecher mit dabei, der alles aufschreibt und gelegentlich auch interveniert. Aber Vestager ist alleine. Sie gibt sich nicht nur eigenständig, sie handelt auch so. Und das mit einer klaren Vorstellung von ihrer Aufgabe als Wettbewerbskommissarin: «Alle sollen eine faire Chance haben. Aber sobald jemand seine Machtposition missbraucht, soll er von mir und meinen Mitarbeitern hören.»
Ideale Fahnenträgerin
Das war in letzter Zeit bei den amerikanischen Unternehmen Google und Apple der Fall. Vestager ermittelt gegen Google, weil das Unternehmen Konkurrenten benachteiligen soll. Und gegen Apple hat Vestager die Rekordbusse von 13 Milliarden Euro gesprochen, weil das Unternehmen von Irland bevorzugt worden sein soll und deshalb während Jahren zu wenig Steuern bezahlt habe.
Apple und Irland weisen die Vorwürfe zurück, und die irische Regierung möchte das Geld auch gar nicht zurückhaben. Die Reaktion Irlands sei typisch. Wenn jemand während Jahren jemand anderem etwas schenke, falle es schwer, dies als Unrecht zu akzeptieren und das Geschenk zurückzufordern, sagt Vestager.
Die frühere dänische Vize-Premierministerin ist durch ihr forsches Vorgehen gegen die Grossen zum wohl populärsten Aushängeschild der EU-Kommission geworden – und auch zu einem Star der Medien. Für viele Politiker in Brüssel ist sie die ideale Fahnenträgerin, um das Vertrauen der Menschen in die EU-Institutionen zurückzugewinnen.
Verärgerte Investoren
Es gibt allerdings auch kritische Stimmen, vor allem aus der Wirtschaft. Sie verärgere die Investoren, und mit ihrer Rekordbusse habe sie die eh schon angespannten Handelsbeziehungen zu den USA nur noch zusätzlich verschlechtert. Vestager lässt sich davon nicht beeindrucken: «Stellen Sie sich vor, wir wüssten von den Steuergeschenken an Apple, würden aber zuwarten, weil es nicht der passende Moment wäre – das wäre sehr problematisch.»
Dass Vestager so bestimmt vorgehen kann, hat auch viel mit ihrem Chef zu tun, mit Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Als er vor zwei Jahren die Leitung der EU-Kommission übernahm, platzte die LuxLeaks-Affäre: Luxemburg schloss während seiner Zeit als Premierminister mit zahlreichen Unternehmen rechtswidrige Steuerdeals ab. Junckers Glaubwürdigkeit war beschädigt und um das zu korrigieren, musste er ihr wirklich freie Hand geben.
Bis jetzt nimmt die Dänin Vestager ihren Handlungsspielraum selbstbewusst wahr. Allerdings steht der wirkliche Prüfstein noch aus. Erst wenn der Europäische Gerichtshof über die Apple-Busse entschieden haben wird, wird sich zeigen, ob ihre Arbeit auf solidem Fundament steht, oder ob sie lediglich viel Staub aufwirbelt.