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1. Mai – wie tickt unser Arbeitsrecht?
Aus Treffpunkt vom 01.05.2024. Bild: Keystone
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Arbeitsrecht gestern und heute «Erster Mai ist eine Erfolgsgeschichte»

Rechte für Arbeitnehmende mussten über Jahrzehnte bis Jahrhunderte erarbeitet werden. Ein Professor für soziales Privatrecht der Universität Basel erklärt, warum der Tag der Arbeit wichtig ist und warum solche Errungenschaften nie in Stein gemeisselt sind.

Kurt Pärli, Professor für soziales Privatrecht, kam bereits in jungen Jahren in Kontakt mit dem Arbeitsrecht: Als er sich 1979 als KV-Lernender in das Berufsbildungsgesetz eingelesen hatte, stellte er fest, dass die Berufsschule keine allgemeinbildenden Freifächer anbietet. Seine Freunde am Gymnasium kamen bereits in den Genuss solcher Fächer. Er engagierte sich im zarten Alter von 16 Jahren für dieses Anliegen. Mit Erfolg: Die Berufsschule führte allgemeinbildende Freifächer ein.

Heute ist Pärli überzeugt: «Ein gutes Arbeitsrecht dient den Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden.» Doch diese Arbeitsrechte mussten für über 100 Jahre erst ihren Weg ins Gesetz finden.

Kein Kündigungsschutz und Kinderarbeit

Die Arbeiterbewegungen vor über 100 Jahren mussten für Anliegen kämpfen, die für Arbeitnehmende in der Schweiz heutzutage selbstverständlich sind – oder zumindest nach Arbeitsrecht sein sollten. «Eine ganz wichtige Forderung der Arbeitnehmenden ist die Begrenzung der Arbeitszeit», sagt Pärli. Slogans der frühen 1. Mai-Kundegebungen waren unter anderen: «8 Stunden Arbeit, 8 Stunden Freizeit und 8 Stunden Schlaf.»

Arbeitsrecht, GAV, Kollektives Arbeitsrecht? Ein kleines ABC:

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  • Arbeitsrecht ist der Oberbegriff und umfasst alle rechtlichen Bestimmungen, die das Arbeitsverhältnis betreffen.
  • Das «Individual Arbeitsrecht» regelt die Rechtsbeziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, in privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen finden sich diese Regleungen im Obligationrecht (OR). Für Anstellungen beim Staat gilt das öffentliche Personarecht
  • Das kollektive Arbeitsrecht enthält den rechtlichen Rahmen für Gesamtarbeitsverträge (GAV) zwischen Arbeitgeber(-Verbänden) und Arbeitnehmer(-Verbänden). In GAV sind für Arbeitnehmende regelmässig bessere Bedingungen als im OR.  Rund 2 Millionen Arbeitnehmende geniessen die Vorzüge eines GAV.
  • Das öffentliche Arbeitsrecht umfasst Bestimmungen, die im allgemeinen Interesse erlassen werden und für sämtliche Arbeitsverhältnisse gelten. Das tritt primär auf das Arbeitsgesetz (ArG) zu, das vielen Bestimmungen zur Arbeitszeit und zum Gesundheitsschutz beinhaltet.

Vor über 100 Jahre gab es noch keinen wirksamen Kündigungsschutz. «Die Vertragsfreiheit war damals wichtig für den Aufbau der Schweiz und einer liberalen Wirtschaft», sagt Pärli. Aber: Arbeitgeber konnten ohne Kündigungsfrist jemanden entlassen.

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Rückblick auf die Arbeiterbewegung
Aus Antenne vom 01.05.1963.
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Ebenfalls waren Schutz bei Schwangerschaft und Krankheit noch nicht gesetzlich gewährleistet. Über die Jahre flossen dann Regelungen ins Gesetz ein. «Dies geschah auch unter anderem wegen der Forderungen der Arbeiterbewegung am 1. Mai», so Pärli.

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1. Mai – die Geschichte
Aus Tagesschau vom 01.05.2013.
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Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts hatte die Schweiz in gewissen Kantonen ein – zumindest für diese Zeit – sehr fortschrittliches Arbeitsrecht. Beispielsweise der Kanton Glarus hatte bereits das «Fabrikgesetz». In diesem Gesetz wurden allgemeine Schutzvorschriften und die Limitierung der Kinderarbeit festgehalten.

Arbeit ist keine Ware

Kurt Pärli sagt: «Man muss dem Umstand, dass Arbeit keine Handelsware ist, Rechnung tragen.» Dass ein Arbeitsvertrag kein gewöhnlicher Vertrag ist, dafür setzt sich seit 1919  die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) ein.

All diese Errungenschaften sind nicht in Stein gemeisselt. Es werden neue Herausforderungen auf die Unternehmungen und Arbeitnehemden zukommen.
Autor: Kurt Pärli

Arbeiterbewegungen wie auch der 1. Mai sind dafür unentbehrlich: «Der 1. Mai ist eine Erfolgsgeschichte.» Aber Kurt Pärli warnt davor, sich darauf auszuruhen: «All diese Errungenschaften sind nicht in Stein gemeisselt. Es werden neue Herausforderungen auf die Unternehmungen und Arbeitnehmenden zukommen.»

In Zukunft ein «Recht auf Offline»?

In der Schweiz gibt es noch kein konkretes Recht darauf, in einem Arbeitskontext zu gewissen Zeiten nicht erreichbar zu sein, erklärt Pärli. Doch im digitalen Zeitalter wird dieses Anliegen immer relevanter. Diese 8-Stunden-Parabel, die schon in der Arbeiterbewegung im 19. und 20. Jahrhundert von Bedeutung war, wird hier wieder wichtiger.

Demonstration mit Transparenten gegen Kapitalismus und für höhere Löhne
Legende: 1. Mai Umzug 2024 in Zürich. Auch am diesjährigen ersten Mai gehen viele Menschen in der Schweiz auf die Strasse und demonstrieren für mehr Recht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Keystone / Ennio Leanza

Laut Pärli gab es bereits einige Vorstösse in Bundesbern, «welche aber alle keinen Erfolg verzeichnen konnten». Erste Ansätze finden sind in GAV.  Das EU-Parlament hingegen setzt sich heuer intensiv in Kommissionen und Räten mit dieser Thematik auseinander. Und Frankreich ist sogar einen Schritt voraus: Wer in einem Unternehmen mit mehr als 50 Angestellten tätig ist, hat seit 2017 ein «Recht auf Abschalten». 

Kurt Pärli

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Prof. Dr. iur. Kurt Pärli studierte soziale Arbeit und Rechtswissenschaften in Bern, Freiburg und St. Gallen (1985-1988 und 1995-2003). Habilitation in den Bereichen Vertragsfreiheit, Gleichbehandlung und Diskriminierung im privatrechtlichen Arbeitsverhältnis. Seit 2016 ist er Professor für Soziales Privatrecht an der Universität Basel.

«Treffpunkt» SRF 1, 1. Mai 2024, 10.00 Uhr

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