Ursprünglich aus der Schwulen- und Lesbenbewegung der USA entstanden, gibt es den «Coming Out Day» seit 1988. Der Tag soll Menschen, die ihre sexuelle Orientierung oder ihre Geschlechteridentität vor ihrem Umfeld verbergen, ermutigen, den Schritt des Coming-outs zu wagen.
Über den Schritt ins Offene hat Radio SRF 1 mit Heinz Leemann gesprochen. Erst Mitte vierzig gestand er sich und seiner damaligen Partnerin ein, eigentlich schwul zu sein. Für ihn war das Coming-out einer der entscheidenden Momente seines Lebens.
Radio SRF 1: Was führte zu Ihrem späten Coming-out?
Heinz Leemann: Für mich hatte es mit Prioritäten zu tun. Der Wunsch war sehr gross, eine Familie zu gründen. Alles andere wurde dann zur Nebensache. Auch wenn es jetzt egoistisch klingt, als der Wunsch dann erfüllt war und die Kinder aus dem Haus waren, kam das Anliegen, mich verändern zu können, wieder zum Vorschein. Da war es schon immer, aber es brauchte einfach Zeit.
Wie erlebten Sie die Zeit vor dem Coming-out?
Es war für mich keine jahrelange Qual, aber ich habe mir im Hintergrund immer wieder Gedanken gemacht. Es gab Situationen, die einem vor Augen führten, was denn alles noch möglich wäre. Auch das Internet zeigte mir eine weitere Welt und dass man nicht allein war. In den zwei Jahren vor meinem Coming-out wurde es dann immer schwieriger, diese zwei Leben parallel zu führen.
Was passierte danach in Ihrem Umfeld?
Niemand wusste davon. Es kam deshalb für alle aus heiterem Himmel. Meine Kinder machten sich in erster Linie Gedanken um ihre Mutter. Sie war auch die Leidtragende, da sich ihr Leben von einem Tag auf den anderen komplett veränderte. Aber es ging einfach nicht anders. Irgendjemandem tut ein solches Coming-out immer weh.
Mein Umfeld in der Familie und Arbeit hat sich eigentlich nicht verändert, dafür anderes.
Für mich ist es nicht nur ein Coming-out gewesen, sondern ein komplett neues Leben.
Nicht nur stand ich nun zu meiner sexuellen Orientierung, sondern besorgte mir neue Kleidung, ging in Bars und an Partys. Nicht, weil ich dies nicht vorher schon gekonnt hätte, aber damals war kein Bedarf da. Ein neues Leben war es auch, weil das Coming-out massive Konsequenzen mit Wohnung und Scheidung hatte.
Wie sehen Sie die Situation von queeren Menschen in der Schweiz?
Wir können uns in der Schweiz sehr glücklich schätzen. Auch wenn bei uns nicht alles gut ist, haben wir verglichen mit dem Ausland eine sehr gute Situation. Ich spüre aber, wenn wir uns zeigen, dass die queere Community aktuell auf mehr Gegenwind stösst. Dies finde ich einen schlechten Trend. Unter Umständen übertreibt man etwas in gewissen Themen, aber ich habe das Gefühl, das braucht es. Dass queer sein etwas ganz Normales ist und dass man sich mit diesen Themen auseinandersetzen muss, ist wichtig. Aber ich glaube, in der Schweiz haben wir es gut.
Was verbinden Sie heute mit Ihrem Coming-out?
Den schönsten Tag meines Lebens. Ich finde es für alle schade, die diesen Schritt noch nicht wollten oder aus familiären, religiösen oder finanziellen Gründen noch nicht machen konnten. Ich glaube, ein Coming-out ist für jede Person möglich. Man muss sich einfach den Konsequenzen bewusst sein. Für mich war es der richtige Entscheid, es hat einfach Zeit gebraucht. Ich bereue mein erstes Leben nicht. Ich geniesse jetzt mein Zweites und bin noch immer «in Love» mit meinem Partner, mit dem ich seit acht Jahren zusammenlebe.
Es ist einzig und allein dein Leben und nur du entscheidest, was du in dem Leben machst. Nur du allein.
Damals hatte ich das grosse Glück, jemanden kennenzulernen, der mich unterstützte. Eine Aussage, die mir von ihm geblieben ist: «Es ist einzig und allein dein Leben und nur du allein entscheidest, was du damit machst.»
Das Gespräch führte Nino Büchi.