Melissa Tan, 34-jährig, ist in Singapur aufgewachsen – mit Englisch, Chinesisch und Singlish, der singapurischen Variante des Englischen mit Einflüssen aus Malaiisch, Chinesisch und Tamilisch. Auf Reisen verliebte sie sich in die Schweiz. 2020 entschied sie sich, hier zu leben, und fand einen Job als Software-Entwicklerin in Zürich.
Bei der Arbeit spricht Tan ausschliesslich Englisch. Ihren Alltag in der Weltstadt Zürich könnte sie also problemlos auf Englisch bestreiten. Aber sie interessierte sich vom ersten Tag an für die lokale Mundart.
Als sie auf einen Züritüütsch-Kurs aufmerksam wurde, meldete sie sich sofort an – praktisch ohne Vorkenntnisse, auch nicht im Hochdeutschen. «Am Anfang war es sehr schwierig», erzäht Tan, «auch weil es nicht viel schriftliches Übungsmaterial auf Züritüütsch gibt».
Schwierige Sprache
Nach weniger als zwei Jahren kann sich Tan auf Züritüütsch und Hochdeutsch gut verständigen. Der Unterschied zwischen den beiden Sprachen erinnert sie an denjenigen zwischen Singlish und Englisch in Singapur.
«Am meisten Mühe machen mir die drei grammatischen Geschlechter und die unregelmässige Konjugation von Verben», sagt Tan. Aber diese Schwierigkeiten der deutschen Sprache macht sie mit ihrer grossen Motivation wett.
Tan möchte sich in der Schweiz integrieren und – wenn möglich – hierbleiben. Die Sprache zu lernen, sei für sie auch eine Möglichkeit, der Schweizer Bevölkerung Respekt zu zeigen, sagt sie. Dieser sprachliche Integrationswillen wird offenbar geschätzt: «Die Einheimischen sind stets sehr hilfsbereit, wenn ich ihnen erkläre, dass ich Schweizerdeutsch lerne», erzählt Tan.
Dialekt als Türöffner
Wie Melissa Tan hat sich auch die Berlinerin Karoline Splitt in die Schweiz verliebt. Seit Anfang Jahr lebt die 35-Jährige nun im Walliser Dorf Grächen und arbeitet als Projektmanagerin in der Tourismusbranche in Zermatt.
Eigentlich würde man denken, mit Hochdeutsch komme man problemlos durch den Deutschschweizer Alltag. Aber Splitt findet, bei den täglichen Erledigungen komme man mit Hochdeutsch an sprachliche Grenzen.
Auch bei der Arbeit helfe ihr Walliserdeutsch, meint sie: «Wenn ich Walliserdeutsch verstehe, muss ich beim Gegenüber nicht ständig nachfragen.»
Wenige im Walliserdeutschkurs
Karoline Splitt suchte im Internet nach einem Walliserdeutschkurs und fand jenen von Felizitas Berchtold. In der Sprachschule Academia Languages in Visp unterrichtet Berchtold neben Deutsch für Fremdsprachige auch einmal pro Woche Walliserdeutsch.
Sieben Personen besuchen den Kurs aktuell – die meisten arbeiten beim internationalen Grosskonzern Lonza in Visp. So viele seien es noch nie gewesen, sagt Berchtold, und die Nachfrage steige immer noch. Dennoch: Angesichts von Hunderten Expats im Oberwallis ist das eine sehr tiefe Zahl.
«Wallis für Anfänger»
Im Zentrum des Unterrichts stehe das Verstehen, erklärt Berchtold: «Es ist nicht nötig und im Oberwallis auch gar nicht unbedingt erwünscht, dass Zuzügerinnen Walliserdeutsch sprechen. Wenn sie die Sprache verstehen und ab und zu ein Dialektwort fallen lassen können, reicht das schon.»
Neben der Sprache bringt Berchtold den Kursteilnehmern auch kulturelle Eigenheiten des Wallis näher: «Ich würde den Kurs am liebsten ‘Wallis für Anfänger’ nennen.»
Seit einem Monat lernt Karoline Splitt nun Walliserdeutsch bei Felizitas Berchtold: Sie verstehe schon einiges, aber es gebe schon noch deutlich Luft nach oben. «Selber zu sprechen und zu schreiben, wäre aber ‘next level’», findet sie. Walliserdeutsch sei sehr schwer zu lernen – obwohl Deutsch ihre Muttersprache sei. Sowohl in der Lautung als auch beim Vokabular gebe es grosse Unterschiede.
Keine klassischen Expats
Karoline Splitt und Melissa Tan sind zwei von sehr wenigen Expats, die Schweizerdeutsch lernen. Und sie stehen beispielhaft dafür, dass es nicht die klassischen Expats sind, die sich für unsere Mundart interessieren.
Sie wurden nicht in die Schweiz versetzt, sondern haben sie ganz bewusst als Arbeitsplatz und Wohnort ausgewählt. Und sie wollen länger als zwei, drei Jahre hierbleiben. Ihre Motivation, Schweizerdeutsch zu lernen, ist dafür umso grösser.