Ziemlich genau ein Drittel der Schweizer Wohnbevölkerung gehört heute keiner Religion (mehr) an, gemäss Bundesamt für Statistik . 1970 waren es erst 1.2 %! In krassem Gegensatz zu dieser galoppierenden Säkularisierung der Gesellschaft steht die Allgegenwart des Religiösen in der Alltagssprache.
Das Religiöse steckt überall in der Sprache
Besonders anfällig sind grosse Emotionen, etwa wenn wir staunen, schimpfen oder erschrecken. Dann rufen wir mit «Jessesmaria!», «Tschiises!», «Oh my god!» oder «Herrgottsack!» gern die höheren Mächte an – jüngere Generationen bevorzugt auf Englisch.
Auch sonst kommen sprachliche Verstärker oft aus dem religiösen Bereich. Etwa, wenn man von einer höllischen Hitze in einer gottverlassenen Gegend spricht. Aber selbst das gutschweizerische «Grüezi» ist aus der Verschleifung von ursprünglichem «Gott grüess di» entstanden.
Macht und Präsenz der Kirche im mittelalterlichen Leben
Die vielen religiösen Wörter zeigen, wie mächtig und zentral die Kirche früher war. Ab dem 8. Jahrhundert begannen in den Klöstern Mönche die Bibel ins Deutsche zu übersetzen oder zu kommentieren.
Aus dieser Zeit stammt der religiöse Grundwortschatz mit Wörtern wie Kloster, Pfarrer oder Friedhof. Viele Begriffe übernahm man als Lehnwörter direkt aus dem Griechischen oder Lateinischen, zum Beispiel das Wort Bibel selbst. Zentrale Begriffe der Heilslehre wurden dagegen ins Deutsche übersetzt, damit sie verständlicher waren. So entstanden neue Wörter wie Auferstehung, Mitleid oder Fegefeuer (aus lat.purgatorius ignis = reinigendes Feuer).
Wie gross der Einfluss der Institution Kirche auf unsere Kultur ist, sieht man auch an den vielen kirchenbezogenen Flurnamen wie Chlosterweid, Pfrundmatt oder Kapuzinerholz und an den städtischen Platz- und Strassennamen, die sich auf Kirchen und Klöster beziehen.
Seelenbalsam – wie das Religiöse profan wird
Oft erkennen wir gar nicht mehr, dass ein Wort seinen Ursprung im Religiösen hat. «Ferien» beispielsweise bezog sich ursprünglich nur auf kirchliche Feiertage. In Wörtern wie Opfer, Schöpfer oder Reue scheint die religiöse Herkunft zwar noch durch. Aber wir verwenden sie ganz selbstverständlich in profanen, nichtreligiösen Kontexten – wenn wir von der «Seele des Hauses» oder von der «Bibel des Jazz» reden zum Beispiel.
Die Bibel ist das A und O für Sprachbilder
Sprachbilder und Sprichwörter aus der Bibel, insbesondere in der epochalen Übersetzung von Martin Luther, hatten einen immensen Einfluss auf die Entstehung des Neuhochdeutschen. Redensarten wie «ein Lippenbekenntnis ablegen» oder «das A und O», saftige Ausdrücke wie «Sündenbock», «Lästermaul», «Hiobsbotschaft» oder «Feuereifer» hat Luther entweder erfunden oder prominent gemacht.
Denn um Kirche und Heilige Schrift kam das gemeine Volk bis weit ins 19. Jahrhundert nicht herum. Das tägliche Gebet, die sonntägliche Predigt des Pfarrers, die auswendig gelernten Kirchenlieder und eben die Bibel selbst: Religiöse Sprache – und mit ihr die biblischen Erzählungen und christlichen Wertvorstellungen – waren omnipräsent im Leben unserer Vorfahren.
Auch wenn heute die meisten Menschen mit Kirche und Religion immer weniger Berührungspunkte haben: Zumindest in der Sprache sind die fetten Jahre der Religion noch längst nicht vorbei.