Overtourism im Ausland - Sollen wir aufs Reisen verzichten?
Reisen bildet, sagt man. Wenn aber Orte zu Hotspots werden, die vor wenigen Jahren als Geheimtipp galten, kommt man ins Grübeln. Und spätestens wenn auch dort Graffitis und Fahnen die Touristen auffordern wegzubleiben, stellt sich die Frage: Soll man lieber zuhause bleiben? Diskutieren Sie mit!
Kennen Sie das? Man kommt aus den Ferien oder von einem Städtetrip nach Hause. Die erste Frage ist oft nicht, ob es schön, sondern, ob es sehr voll war. «Ja», seufzt man und klagt, wie viele Touristen die Wanderwege in den Cinque Terre verstopfen.
Legende:
In Bologna spricht man noch nicht von Overtourism. Aber auch dort mehren sich die Zeichen, dass Touristen nerven.
SRF / Christine Hubacher
Und wie sich, wahrlich nicht zum Guten, La Boqueria, der schönste Markt von Barcelona, gewandelt hat. Oder wie Besucherströme den Friedhof Père Lachaise in Paris entern und die Horden nun auch in Porto, dieser Perle in Portugal, eingefallen sind.
«Wir möchten uns in einer puderzuckersüssen Traumwelt erholen»
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Legende:
Barbara Bleisch
Barbara Bleisch ist Philosophin und moderiert die «Sternstunde Philosophie». Daneben schreibt sie Bücher und unterrichtet Ethik.
SRF
SRF: Touristen sind immer die andern. Hand aufs Herz: Sind wir nicht alle Touristen, wenn wir zur Freude verreisen?
Barbara Bleisch: Das ist wirklich eine lustige Beobachtung: Touristen nerven sich ja immer über die Touristenmassen. Das hat etwas Absurdes. Dazu passt ja auch, dass Reiseanbieter mit dem Prädikat «exklusiv» werben. Quasi, damit man sich von den Massen abheben kann. Dann erhält man exklusiven Zugang zu einem Strand oder zu einem Museum. Touristin bleibt man trotzdem.
«Overtourismus» ist das Wort der Stunde. Man könnte ja ausgetretene Pfade verlassen und neue Orte aufsuchen. Ist man da Vorhut für den nächsten Hype?
Solche Hypes werden ja befeuert durch Social Media. Man muss ja nicht zwingend alles, was man sieht, mit der ganzen Welt teilen. Aber dass wir überhaupt Hypes nachrennen, hat damit zu tun, dass wir unser Leben kuratieren als Gesamtkunstwerk und Vorbildern nacheifern, statt uns von der eigenen Neugier leiten zu lassen. Der Zeitdruck beim Reisen kommt dazu. Deshalb geht man sofort an den schönsten Ort, der in den Bewertungen die meisten Sternchen erhalten hat. Dabei verpasst man aber vielleicht schöne, unbekannte Seitenwege.
Man könnte ja auch, um die Neugier zu stillen, ein Buch über einen Ort lesen, statt hinzufahren. Würde uns etwas fehlen?
Ich glaube tatsächlich, dass man mit einem guten Buch mehr über den Alltag eines Landes erfahren kann. Aber ehrlich gesagt, es würde uns etwas fehlen. Weil das Bedürfnis, einen Ort zu bereisen, oft gar nicht aus der Neugier entsteht. Man möchte sich einfach erholen in einer «puderzuckersüssen» Traumwelt. Man möchte sagen können: Jawohl, da war ich auch schon, und es war genauso krass wie auf den Bildern. Viele möchten den schönen Strand in Mexiko auskosten, aber nichts hören von den sozialpolitischen Bedingungen der Bewohner vor Ort.
Was entgeht einem, wenn man zuhause bleibt und nicht reist?
Ich glaube schon, dass Reisen eminent bildet. Weil man sich auch anderen Erfahrungen aussetzt. Das heisst aber, dass man eben nicht ins All-inclusive-Resort geht, wo es Essen gibt, was ich sowieso schon von zuhause her kenne. Sondern, dass man sich aussetzt und auch neue Menschen kennenlernt. Menschen, die dort leben. Das ist eine andere Art von Reisen. Meistens auch eine viel langsamere, weil es Zeit braucht, sich auf Begegnungen einzulassen.
Touristen sind immer die andern
Die Welttourismusorganisation (UNWTO) zählt den Tourismus zu den am schnellsten wachsenden Wirtschaftssektoren. 2019 wurden mehr als 1.5 Milliarden Ankünfte weltweit registriert. Dann kam Corona. Noch 400 Millionen Ankünfte im Jahr 2020 zählte die UNWTO. Doch 2023 waren es bereits wieder 1.2 Milliarden.
Der Tourist zerstört das, was er sucht, indem er es findet
Kein Wunder also, wenn man vielerorts auf Touristen trifft. Doch jetzt kommt's: Wir alle sind Touristinnen und Touristen, sobald wir unsere Koffer packen und auf die Reise gehen oder in die Ferien fahren. Wir sind Teil des Problems.
Neue Pfade erkunden
An unberührte Strände fahren, wo es kaum andere Touristen hat, Reiserouten wählen, die noch nicht bekannt sind, das ist die Alternative zum Massentourismus. Deshalb schlagen Reisebranche, Reiseblogger und Zeitschriften immer neue Orte vor, die es zu erkunden gibt. Taiwan statt Japan, Flores statt Bali,Łódźstatt Krakau, Ksamil statt Rimini.
Legende:
Kein seltenes Selfie auf den Reis-Terrassen von Tegalalang auf Bali. Auch auf der indonesischen Insel ist «Overtourism» schon länger ein Problem.
Getty/Agung Parameswara
Doch was heute unbekannt ist, kann übermorgen schon zum Hotspot werden. So erging es Mallorca, Bali, Dubrovnik, die Liste ist beliebig lang. «Der Tourist zerstört das, was er sucht, indem er es findet» beschrieb einst der deutsche Dichter Hans Magnus Enzensberger diesen Vorgang.
Was ist zu tun?
Sollte man das Reisen lieber lassen? Eine Dokumentarsendung über Island gucken, statt selbst hinzufahren? Sich lesend die Welt erschliessen, statt Ressourcen vor Ort zu strapazieren und den Einwohnern auf die Nerven zu fallen? zuhause bleiben, statt neue Orte zu erkunden und damit dem Massentourismus von übermorgen Tür und Tor zu öffnen?
Die Gäste im Forum am 6. Juni 2024 um 10:00 auf SRF 1
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Legende:
SRF
Sollen wir das Reisen sein lassen?
Eva Schmassmann, Präsidentin von fairunterwegs.org: «Ein genereller Verzicht auf Reisen ist unnötig. Aber es braucht definitiv einen Verzicht auf Shopping-Trip übers Wochenende mit dem Flugzeug in Städte, die über zu viel Tourismus klagen».
Farrah Mettler, Head of Marketing Tourasia: «Nein, Reisen öffnet die Welt, fördert persönliche Entwicklung, Verständnis und Toleranz, und unterstützt lokale Gemeinschaften. Wir sollten das Reisen aber bewusst und nachhaltig gestalten.»
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