Mit 42 Jahren ein beruflicher Neuanfang – dafür entschied sich Tabea Käser. Jedoch liessen die Reaktionen aus ihrem Umfeld nicht lange auf sich warten. «Ich wurde gefragt, ob ich jetzt das Gefühl hätte, mich neu erfinden zu müssen», sagt sie. Doch sie liess sich nicht von ihrem Vorhaben abbringen. Vom Detailhandel wechselte sie in die Pflege.
Leute, die wie Tabea Käser ab 40 einen Neuanfang wagen, werden oft mit dem Klischee Midlife-Crisis konfrontiert. Aber gibt es die Midlife-Crisis überhaupt? Lange war sie in der Wissenschaft umstritten, sagt Pasqualina Perrig-Chiello, emeritierte Psychologieprofessorin der Universität Bern.
Heute weiss man: Tatsächlich ist die Lebensphase zwischen 40 und 55 Jahren besonders anfällig für Krisen. «Es ist die Zeit der meisten Burnouts, Depressionen und Scheidungen», sagt die Psychologin.
Was Betroffene aus der Bahn wirft
Die Lebensmitte ist geprägt von viel Belastung. «Leute über 40 haben hohe Erwartungen im Berufsleben», so Perrig-Chiello. Man habe wenig Zeit für sich selbst. Auch im Privatleben komme es zu einem Wandel. Die Kinder würden erwachsen werden und sich immer mehr ablösen, gleichzeitig würden die eigenen Eltern immer mehr Unterstützung benötigten.
Ab 40 wird einem bewusst, dass das Leben nicht ewig weiter geht.
Dazu kommen körperliche Veränderungen. Frauen kämen langsam in die Wechseljahre und auch der Hormonhaushalt der Männer verändere sich. «Man ist nicht mehr jung, aber auch noch nicht alt», so die Psychologin. Das belaste Betroffene zusätzlich.
Was Menschen in dieser krisenanfälligen Zeit besonders beschäftige, sei die Frage nach dem Sinn. Laut der Psychologin wird einem bewusst, dass das Leben nicht ewig weiter geht. Das Lebenszeitfenster werde kleiner. «Man stellt infrage, was man bisher erreicht hat und was man noch erreichen möchte», so Perrig-Chiello. Für viele Leute komme in dieser Zeit der Wunsch nach einer Veränderung auf.
Vom Detailhandel in die Pflege
So ging es auch Tabea Käser. Sie und ihr Mann führten zu dieser Zeit eine Bäckerei mit vier Filialen und sie arbeitete Vollzeit im Detailhandel. Doch ihr wurde klar, dass es Zeit war, für etwas Neues. Als ihre Tochter begann, sich mit dem Thema Berufswahl zu beschäftigten, und Interesse an der Pflege zeigte, wurde Tabea Käser klar: Das ist, was ich will.
Natürlich sei die Frage aufgekommen, ob sich ein beruflicher Neuanfang ab 40 Jahren überhaupt lohne. Sie kam zum Schluss: «Man ist nie zu alt, etwas Neues anzupacken.» Sie meldete sich für eine Standortbestimmung an, liess sich beraten und entschied sich, eine Ausbildung in der Pflege anzufangen.
Wieso die Krise eine Chance sein kann
Tabea Käsers Fall zeigt: Die Krise kann auch eine Chance sein. «Es muss nicht unbedingt zu einer Krise kommen. Die Lust auf Veränderung an sich ist nichts Negatives», sagt die Psychologin. Sie könne einem auch die Chance geben, sich neu zu orientieren und eine Möglichkeit zu finden, um aus der Routine auszubrechen.
Die Krise könne einem helfen, glücklicher zu werden. Perrig-Chiello spricht von der Talsohle des Wohlbefindens: «In der Zeit ab 40 sinkt die Zufriedenheit.» Es sei ein universelles Phänomen, unabhängig von Wohnort, Einkommen oder Geschlecht.
Laut der Psychologin steigt die Zufriedenheit ab 55 Jahren wieder: «Man schafft es, wieder das Gute zu sehen und zu schätzen, was man erlebt hat.» Die meisten Menschen hätten sich dann an die neue Lebensphase angepasst, seien krisenerprobter und gelassener.