Ein lauer Sommerabend an der Warschauer Strasse in Berlin. Zu hören sind Technobeats gespickt mit Kontrabass-Melodien und Schlagzeug-Rhythmen. Menschen tanzen in einer grossen Gruppe vor den drei Musikern, die live ihren Techno-Volksmusikmix darbieten. Mittendrin der Schweizer Kontrabassist Pirmin Huber, dessen musikalisches Schaffen sich nicht in ein fixes Genre zwängen lässt.
Szenenwechsel.
Ein Alpsegen tönt durch die Dämmerung: «Sie sollen uns gnädig bewahren, vor Übel, Unglück und Gefahren. An Leib und Seel, an Hab und Gut. Und erhalte das liebe Vieh auch in treuer Hut und was sonst noch zur Alp gehören tut», singt Paul Marty seinen Alpsegen durch einen Trichter. Er verbringt den Sommer auf der Alp Hinterofen SZ. Der Juz zum Schluss des Schutzgesangs hallt von den Felswänden wider. Dann umgibt ihn Dunkelheit und Stille.
Der Schauplatz dieser beiden Geschichten ist ein völlig anderer. Doch der rote Faden, der sie eint, ist derselbe: die Volksmusik. Sie ist die grosse Leidenschaft von Pirmin Huber und Paul Marty. Pirmin Huber ist studierter Kontrabassist und professioneller Komponist, Paul Marty ist Älpler, dem die Liebe zur Volksmusik offensichtlich in die Wiege gelegt wurde.
Doch was heisst das schon, die Volksmusik? Dass sich die Frage «Was ist Volksmusik?» nicht allgemeingültig beantworten lässt, wird schnell klar. Nur schon diese zwei Geschichten zeigen: Volksmusik hat viele Gesichter. Sie ist Heimat und Familie. Sie ist etwas, das von Generation zu Generation weitergegeben und am Leben erhalten wird. Sie ist Hobby, Beruf oder Berufung.
Volksmusik wird vom stetigen Wandel genauso beeinflusst, wie die Menschen, die sie machen. Sie ist Inspiration für kreatives, musikalisches Schaffen und für neue Klangwelten. Volksmusik ist eine Lebensweise, die Freude verbreitet, Musik auf der Herzfrequenz, die verbindet.
Kurz: Volksmusik ist nicht nur ein Musikgenre, sie ist Identität, ein Lebensgefühl, Tradition – und wie die Gesellschaft im Wandel. Es stellt sich die Frage: Gibt es Platz für Veränderung in der Tradition?
Volksmusik mit Techno kombiniert
Pirmin Huber beantwortet diese Frage eindeutig mit «ja». Für ihn bedeutet Volksmusik Inspiration. Der 36-jährige Kontrabassist unterwirft sich in seinem musikalischen Schaffen ungern starren Regeln.
In der Volkmusik darf man meiner Meinung nach alles.
Er experimentiert gerne – Volksmusik hat dabei für ihn grosses Inspirationspotenzial. «In der Volksmusik darf man meiner Meinung nach alles», findet er und betont, dass ihm wichtiger sei, offen und kreativ zu bleiben, als immer allen zu gefallen. Sein Lieblingsmix: Techno und Volksmusik.
Diese beiden Musikgenres haben laut Pirmin Huber durchaus Gemeinsamkeiten. Beides ist im Grunde Tanzmusik. «Nur Ländler oder nur Techno zu spielen, geht für mich nicht, da würde mir jeweils das eine oder das andere fehlen», sagt der Kontrabassist und entlockt seinem Instrument rhythmisch-sphärische Klänge.
Huber hat an der Hochschule Luzern studiert, spielt traditionelle Volksmusik, sucht aber auch seinen eigenen Sound. Zurzeit weilt er in einem Atelier in Berlin, das er vom Kanton Schwyz zur Verfügung gestellt bekommen kann. In der norddeutschen Metropole versucht er volksmusikalische Elemente und treibende Beats zu einem neuen Ganzen zu mischen. Und ist dabei auch ziemlich erfolgreich.
Pirmin Huber sei ein gutes Beispiel dafür, was aus einer Traditionswurzel spriessen kann, so der Autor der «DOK»-Serie Christian Wyss. Hubers Bandkollegen sind zu ihm nach Berlin gereist, um dort auf der Strasse Menschen für ihre Musik zu begeistern und sie zum Tanzen zu animieren.
Juzen und tanzen auf der Alp
Den Sommer verbringt Paul Marty auf der Alp. Der Arbeitstag des Landwirtes beginnt meist um 6:00 morgens. Da werden die Kühe von der Weide geholt, zum Melken. Dafür wendet er einen singenden Lockruf an. Beim Vieh holen gejuzt hätten bereits seine Eltern und Grosseltern. «Das Vieh hört so besser auf uns», ist er überzeugt.
Nach dem Mittag nimmt Marty nicht selten sein Schwyzerörgeli auf die Knie und spielt einen lüpfigen Ländler. In diese musikalische Tradition ist er hineingewachsen. Grosses Vorbild sei sein Grossvater, die Volksmusik-Legende «Sity Domini», Dominik Marty. Dieser war landauf, landab bekannt für seine urchige und fröhliche Art und für seine markante Stimme. «Luschtig und fröhli, läbt de Lööli», habe dieser gerne gesagt.
Wenn wir zusammen Musik machen, kann jeder sein, wie ihm grad drum ist.
Fröhlich geht es aber durchaus auch bei Paul Marty auf der Alp zu und her, wenn dieser bei gut gelaunter Runde zusammen mit seinen Freunden urchigen Ländler mit Akkordeon und Kontrabass zum Besten gibt.
Marty mag solche lustigen, gesellige Abende ganz besonders. Auch wird bei diesen Zusammenkünften oft gesungen und das Tanzbein geschwungen. «Wenn wir zusammen Musik machen, kann jeder sein, wie ihm grad drum ist», schwärmt Marty von der ausgelassenen Feststimmung in der Alphütte.