Die Verunsicherung nach dem Bergsturz ist immer noch spürbar. Viele Bewohner von Bondo und Spino im Bergell wissen nicht, ob sie je wieder zurück in ihre Häuser können. Oder ob sie überhaupt zurück wollen. Einige hoffen sogar, dass sie enteignet werden.
Reto Müller ist einer von ihnen. Der pensionierte Berufsschullehrer hatte eben erst sein Haus gekauft, als es 2011 am Piz Cengalo zu einem Felsabbruch kam. Müller hörte genau hin, als die Experten warnten. Zu seinem Erstaunen wollten viele Leute im Dorf von Schutzbauten aber nichts wissen. Diese würden die Landschaft verschandeln, wandten sie ein. Immerhin setzte sich eine Mehrheit durch.
Als der Berg nun tatsächlich kam, mischte sich in den Schrecken auch eine Portion Genugtuung. Jetzt steht Reto Müller mit seiner Frau Annemieke Buob Müller vor der Frage, wo sie in Zukunft leben wollen. In ihrem Haus, soviel weiss er heute schon, will er nicht mehr wohnen. Mit gutem Gewissen verkaufen könne er es auch nicht. So sieht er nur eine Möglichkeit: Der Kanton muss ihn enteignen und einen Ersatz anbieten.
In Bondo ist Müller nicht allein mit dieser Idee. Andernorts tun sich die Menschen oft schwer, wenn die Behörden ihnen aus Sicherheitsüberlegungen das vertraute Heim wegnehmen wollen.
Szenenwechsel: Grimselgebiet im Berner Oberland. Im Juli 2009 passierte in der Gemeinde Guttannen Ähnliches, wie jetzt in Bondo. Ein ganzer Dorfteil drohte für immer zu verschwinden.
Guttannen passte nach den Murgängen die Gefahrenzone an
In Guttannen im Kanton Bern entschied die Gemeinde nach den Murgängen, dass Peter von Bergen das Wohnhaus seiner Vorfahren samt Stall abreissen müsse. Von Bergen willigte ein.
Heute sagt er: «Bevor ich ein Gebäude abreissen liesse, würde ich heute zuerst einen neuen Standort suchen, der dann auch taugt. Während 5 Jahren suchten wir damals nach dem Abbruch nach einer geeigneten Lösung. Das ist nicht so einfach in einem Gefahrengebiet. Heute würde ich alles genau geregelt haben wollen, vor dem Abbruch.»
Sein eigenes Wohnhaus steht seit den Murgängen ebenfalls in der Gefahrenzone. Es hat massiv an Wert verloren. Ausbauen darf er es nicht mehr. Für ihn ist klar: «Hier ginge ich nicht so schnell raus. Ich kann selber einschätzen, wie gross die Gefahr ist. Ich würde mich nicht auf sogenannte Experten verlassen. Ich bleibe da bis an mein Ende.»
Die Fälle von Bondo und Guttannen mögen in ihrer Ursache unterschiedlich sein, für die betroffenen Menschen stellen sich dieselben Fragen: Kann ich in meinem Haus weiterhin sicher wohnen? Müssen wir in Zukunft vermehrt mit Naturereignissen wie jenem im Bergell rechnen?
Der Berner Nils Hählen, Leiter der Abteilung Naturgefahren im Amt für Wald, hält Panikmache für absolut fehl am Platz. Wenngleich er darauf hinweist, dass Bergstürze zu den natürlichen Prozessen in unserer Landschaft gehören:
«Viele Täler im Berner Oberland sind durch Bergstürze entstanden. Das Dorf Kandersteg oder den Oeschinensee würde es ohne Bergstürze nicht geben. Die Menschen müssen akzeptieren, dass von Zeit zu Zeit grosse Ereignisse auftreten, gegen die man nicht gerüstet ist. Eine hundertprozentige Sicherheit wird es nie geben.»