Um was geht es? Ein Ehepaar aus dem Kanton Solothurn geht kurz vor dem Mittag im Quartier mit seinem Hund spazieren. Es kreuzt sie mehrmals ein Auto mit italienischer Nummer. Plötzlich hält der Fahrer an und fragt die beiden auf Deutsch nach dem Weg zur Autobahn. Er ist gut gekleidet, um die 50 Jahre alt und erzählt rührselige Geschichten – gerade gestern sei endlich sein zweites Kind geboren. Er wolle jetzt sofort heimfahren.
Wie läuft die Masche? Der sympathisch auftretende Herr behauptet, Mitinhaber einer Luxusmarke namens «Linea Sartoriale» in Milano zu sein. Er hätte Anzüge und Kittel der Grösse 52 einem Arzt in der Nachbarschaft liefern sollen, doch dieser habe seine Frau verlassen und sei nicht mehr hier. Aus lauter Freude über sein Babyglück und aus Dankbarkeit über die Hilfe will er dem Paar einen der 2000- bis 4000-fränkigen Kittel schenken. Die beiden laden den netten Herrn nach Hause ein, um die Kleider zu probieren.
Hier sollte man hellhörig werden: Irgendwann schlägt der angebliche Schneider aus Milano vor, er könnte dem Paar eigentlich alle Kleider dalassen, damit er diese an der Grenze nicht erneut verzollen müsse. Für drei Vestons, einen Anzug und zwei Jacken für die Frau will er «nur» 2500 Franken. Das Ehepaar zögert, doch der Herr hat auf alle kritischen Fragen eine plausible Antwort. Auch der Hochglanzprospekt mit professionellen Models macht einen top seriösen Eindruck. Angeblich hat «Linea Sartoriale» Filialen in New York, Wien und an der Bahnhofstrasse in Zürich.
Wie bemerkt das Paar den Nepp? Erst als die Tochter des Paars im Nachhinein kritisch nachfragt, fangen die beiden an, zu recherchieren. Sie finden heraus: An der Bahnhofstrasse in Zürich gibt es keine Filiale von «Linea Sartoriale». Und auf Ricardo und Tutti werden neue Kittel dieser Marke zu sehr günstigen Preisen verkauft. Der Solothurnerin wird klar: «Da ist alles erstunken und erlogen,» sagt sie zum SRF-Konsumentenmagazin «Espresso». Auch die Filialen in New York, Lissabon oder München existieren nicht: An diesen Adressen stehen Läden von Gucci und Versace. Auf Fragen von «Espresso» reagiert «Linea Sartoriale» nicht.
Das sagt die Polizei: Bei der Kantonspolizei Zürich hört man diese Geschichte nicht zum ersten Mal. Der Trick laufe so: Die Leute würden mit viel Charme angesprochen, um angeblich nach dem Weg zu fragen. Das Gespräch ende meist damit, dass man den Betroffenen etwas andrehen wolle: «Meist etwas Minderwertiges für sehr viel Geld. Doch es wird so charmant und glaubwürdig erzählt, dass die Opfer das Gefühl haben, sie hätten ein gutes Geschäft gemacht», sagt Ralph Hirt von der Kapo Zürich. Den ähnlichen Trick gebe es auch mit Lederjacken, Mänteln oder Messersets.
Was können Betroffene tun? Wenn man auf der Strasse von jemandem angesprochen werde, der einem schliesslich etwas verkaufen will, solle man die Person nach einer Bewilligung fragen. Für das brauche es in der ganzen Schweiz eine sogenannte «Handelsreisenden-Bewilligung», rät Ralph Hirt von der Kapo Zürich. Wer schon hereingefallen ist, kann bei der Kantonspolizei Anzeige erstatten. Wer mit Twint oder Überweisung bezahlt hat, kann versuchen, die Zahlung noch rechtzeitig zu stoppen.