Über die unwürdige Praxis mancher Gemeinden haben die SRF-Konsumentenmagazine «Espresso» und «Kassensturz» in den vergangenen Jahren immer wieder berichtet:
Zum Beispiel über eine Frau aus dem Kanton Aargau. Mit 59 Jahren verlor sie ihre Stelle und war in der Folge auf Sozialhilfe angewiesen. Von ihrer Gemeinde wurde die Frau dazu gedrängt, in eine vorzeitige Pensionierung einzuwilligen und ihr Guthaben aus der Pensionskasse auszulösen.
Von diesem Guthaben sollte sie aber nicht nur ihren Lebensunterhalt bestreiten. Sie sollte die bisher bezogene Sozialhilfe zurückzahlen. Für die betroffene Frau hätte das bedeutet: Das Geld würde kaum reichen. Sie wäre nach ihrer Pensionierung sofort auf Ergänzungsleitungen angewiesen.
Nicht alle Kantone verzichten auf Praxis
Expertinnen und Experten kritisierten diese unwürdige Praxis. In der Folge verzichteten mehr und mehr Kantone darauf, zum Beispiel der Kanton Aargau. Anders der Kanton Basel-Landschaft. Doch dort hat sich nun ein Betroffener gewehrt und schliesslich vor Bundesgericht recht bekommen.
Die Behörde seines Wohnortes forderte vom heute 64-jährigen Mann rund 80’000 Franken. Der Vorwurf: Er habe zu Unrecht Sozialhilfe bezogen, denn er habe über ein Freizügigkeitsguthaben mit einem Guthaben von rund 100’000 verfügt. Von diesem Geld hätte er – so die Behörde – leben können und wäre nicht auf Sozialhilfe angewiesen gewesen.
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Dieses Vorgehen würde dem Sinn und Zweck der beruflichen Vorsorge widersprechen und wäre nicht verhältnismässig, urteilt nun das Bundesgericht. Denn: Das Freizügigkeitskapital des Mannes hätte nicht einmal für seinen Lebensunterhalt bis zur ordentlichen Pensionierung gereicht.
Er wäre also noch vor seiner Pensionierung wieder auf Sozialhilfe angewiesen gewesen. In solchen Fällen sei es nicht zulässig, Betroffene zum Vorbezug ihrer Freizügigkeitsguthaben zu zwingen.
Betroffene sollten sich auch künftig beraten lassen
Tobias Hobi, Anwalt der unabhängigen Fachstelle für Sozialhilferecht (UFS), freut sich über dieses Urteil. Seit Jahren setzt er sich für die Rechte Betroffener ein. Allerdings lasse sich das Urteil nicht dahingehend zusammenfassen, dass Gemeinden künftig generell nicht mehr verlangen dürfen, dass Sozialhilfebeziehende ihre Vorsorge aufzubrauchen und Sozialhilfe zurückzuzahlen müssen.
Diese Möglichkeit würde durch das Urteil lediglich eingeschränkt, nicht aber verunmöglicht.
Aus diesem Grund rät Tobias Hobi Betroffenen, sich bei Forderungen der Gemeinde rechtlich beraten zu lassen, bevor sie ihr Vorsorgekonto auflösen.