Zum Inhalt springen

Zu viele Schäden Versicherung schmeisst Familie ohne Vorwarnung raus

Mit der Begründung, sie hätte zu viele Schadenfälle angemeldet, wirft die Allianz langjährige Kunden raus. Geht das?

Aus heiterem Himmel und just in der Vorweihnachtszeit erhält eine dreiköpfige Familie aus dem Kanton St. Gallen von der Allianz-Versicherung ein Kündigungsschreiben: «Bei der Bearbeitung zeigte sich, dass wir für Ihre Police in der letzten Zeit überdurchschnittlich viel für Schadenfälle bezahlt haben. Aus diesem Grund können wir Ihren Vertrag leider nicht weiterführen.»

Berater erwähnt Problem mit keinem Wort

Es handelt sich um eine umfassende All-Risk-Haftpflicht-Versicherung. Der Familienvater fühlt sich aus verschiedenen Gründen vor den Kopf gestossen. Zum einen sei noch im Herbst ihr Allianz-Berater zu einem Gespräch vorbeigekommen. Er habe es dort mit keinem Wort erwähnt, dass die gemeldeten Schadenfälle eine kritische Quote erreicht hätten.

«Espresso» ist an Ihrer Meinung interessiert

Box aufklappen Box zuklappen

Und er gibt auch zu bedenken, dass er seit nunmehr 30 Jahren bei der Allianz Kunde sei. In dieser langen Zeit habe er insgesamt rund 30'000 Franken an Prämien bezahlt. Demgegenüber stehe eine Schadensumme von insgesamt rund 5000 Franken. Ein Riss in einem Lavabo, zum Beispiel. Dann habe einmal ein Krähenschwarm die Mückengitter an den Fenstern zerfetzt oder sein Hund sei von einem anderen Hund gebissen worden.

«Wir sind fassungslos»

Keine grösseren Probleme also. «Dass uns die Versicherung nun einfach ohne Vorwarnung den Vertrag gekündigt hat, das hat uns fassungslos gemacht», sagt der ehemalige Allianz-Kunde im SRF-Konsumentenmagazin «Espresso».

Schaden verschweigen, um Kündigung zu vermeiden?

Box aufklappen Box zuklappen

Wer eine kritische Schadenquote erreicht, muss damit rechnen, dass ihm die Versicherung kündigt. Eine allgemein gültige Limite gebe es nicht, sagt Versicherungsombudsmann Martin Lorenzon. Dies sei auch sinnvoll, weil dadurch ein Spielraum für individuelle Lösungen offenbleibe. Keinesfalls soll man einen Schaden aus Angst vor einer Kündigung verschweigen und selbst bezahlen, so Lorenzon. Was laut Police gedeckt sei, soll man anmelden: «Dafür hat man ja die Versicherung.» Und im Normalfall erhält man einen Hinweis, wenn es kritisch wird.

Die Kündigung durch die Vorversicherung kann dann zu Problemen führen auf der Suche nach einer neuen Anbieterin. In der Regel wird bei der Anmeldung eine Offenlegung dieser Umstände verlangt. Und auch hier sei es keine gute Idee, irgendetwas zu verschweigen, so Lorenzon: «Wenn ein Schadenfall eintritt, kann es sein, dass die neue mit der alten Versicherung Kontakt aufnimmt.» Und wenn sich dann herausstelle, dass der Versicherungsnehmer etwas verheimlicht hat, sei die Versicherung dazu berechtigt, den Vertrag innerhalb von vier Wochen zu kündigen.

Besser sei es, rät Lorenzon, gleich bei der Anmeldung mit der neuen Versicherung Kontakt aufzunehmen und die Situation zu schildern.

Eine Nachfolgeversicherung zu finden, habe sich auch als sehr mühsam herausgestellt. Mehrere Anbieter hätten sie nämlich abgelehnt, als sie erfahren hätten, dass ihnen die bisherige Versicherung gekündigt hat. Diese Vorgeschichte muss man im Normalfall bei der Anmeldung offenlegen. Unterdessen hat die Familie aber eine Nachfolgelösung gefunden.

Keine Kündigung ohne Angebot

Das Vorgehen der Allianz sei rechtlich zulässig, sagt Martin Lorenzon, Ombudsmann für Privatversicherungen: «Versicherung und Versicherungsnehmer dürfen im Schadenfall kündigen.» Eine Ausnahme: die Krankenkassen. Dort sei dies weder in der Grund- noch in der Zusatzversicherung erlaubt.

Umfrage

Nur sei es in den meisten Fällen üblich, dass die Versicherung den betroffenen Kundinnen und Kunden vor der Kündigung noch ein Angebot mache, so Lorenzon. Das könne eine höhere Prämie sein, eine Erhöhung des Selbstbehalts oder der Ausschluss gewisser, häufig vorkommender Risiken.

Weitere Informationen

Wie eine kleine Umfrage von SRF bei grossen Versicherungen – Zürich, Mobiliar, Helvetia und Axa – zeigt, ist üblicherweise ein solcher Zwischenschritt vorgesehen.

Allianz erklärt und entschuldigt sich

Box aufklappen Box zuklappen

Auch bei der Allianz hätte es anders laufen sollen, sagt deren Mediensprecher Hans-Peter Nehmer: «Ich kann den Frust dieser Familie nachvollziehen.» Tatsache sei, dass sie die meisten ihrer Schadenfälle – deren sechs – in den letzten zweieinhalb Jahren gemeldet habe. Dieser, relativ kurze Zeitraum sei entscheidend. Das habe zu einer «Gesamtkundenschadenquote» von 142 Prozent geführt.

Das bedeutet wiederum: Mehr Ausgaben als Einnahmen in dieser relativ kurzen Phase bei jener Familie. «Und wenn das bei allen Kundinnen und Kunden der Fall wäre, könnten wir die Schäden irgendwann gar nicht mehr bezahlen.»

Aber: Der zuständige Kundenberater hätte die Familie rechtzeitig über die kritische Situation ins Bild setzen und den langjährigen Kunden ein Angebot unterbreiten sollen, sagt der Mediensprecher. Nun sei es so, dass jener Berater seinen Job bei der Allianz gekündigt habe. Und im betreffenden Fall habe ihn die Situation der Familie offenbar schlicht nicht mehr interessiert. Nehmer entschuldigt sich dafür und betont: «Das ist nicht üblich bei uns.»

Espresso, 25.02.2025, 8:10 Uhr

Meistgelesene Artikel