Wie verlässlich sind Weinprämierungen? Die Konsumentensendung «Patti Chiari» vom Tessiner Fernsehen RSI wagt ein spannendes Experiment: Die Redaktion kauft drei Flaschen Wein für je rund 3 Franken und bittet die Präsidentin der Tessiner Sommeliers, Anna Valli bei der Auswahl der schlechtesten Flasche zu helfen.
Der Wein erhält eine von der Redaktion eigens dazu entworfene Etikette und einen neuen Namen: «Cantonata». Der Name hat es in sich: «Cantonata» heisst übersetzt: Etwas falsch machen, einen Bock schiessen. Um glaubwürdiger zu wirken, erstellt «Patti Chiari» auch eine Website samt fiktiver Weinkellerei.
Billigwein in teurem Kleid
Wein-Wettbewerbe gibt es weltweit und für jeden Geschmack. «Patti Chiari» entscheidet sich für drei Wein-Wettbewerbe in Frankreich, Griechenland und Deutschland. Die Anmeldeformulare sind vergleichbar: Alle verlangen Informationen zur Herkunft des Weins, zur Anzahl der produzierten Flaschen, und chemische Analysen. Um glaubwürdiger zu wirken, ändert «Patti Chiari» den Preis der Flasche: Sie geben einen Verkaufspreis von 26 Franken 90 an – werden sich die Juroren täuschen lassen?
Ein paar Wochen später liegen die Resultate vor: In Griechenland und Deutschland fällt der Wein durch: Die Juroren sprechen von «merkwürdiger Nase»,«geringer aromatischer Intensität» und «einfacher Struktur».
Das Millionengeschäft
Und dann folgt die grosse Überraschung: Beim internationalen Wettbewerb von «Gilbert et Gaillard» in Frankreich gewinnt der «Cantonata» die Goldmedaille. Und er ist damit nicht alleine: Gemäss Website haben «Gilbert et Gaillard» letztes Jahr über 7000 Flaschen prämiert – ein Millionengeschäft: Denn die Gewinner können Medaillen-Aufkleber kaufen: 5000 Stück gibt es für 325 Euro. Zusammen mit den 270 Euro für die Registrierung bezahlte alleine «Patti Chiari» fast 600 Euro.
Die Gruppe «Gilbert et Gaillard» wurde 1989 von Philippe Gaillard und François Gilbert gegründet. Seit 2013 schreibt das französische Gesetz vor, dass bei Wettbewerben maximal 30 % der eingereichten Weine prämiert werden dürfen. Eine Einschränkung, die «Gilbert et Gaillard» zunächst befolgten, wie das Reglement von 2014 zeigt. Im neuen Reglement zum Wettbewerb ist davon aber nichts mehr zu lesen. Die Gruppe verlegte inzwischen ihren juristischen Sitz von Paris nach Hongkong – andere Länder, andere Gesetze.
«Gilbert et Gaillard» schreiben «Patti Chiari», sie seien mit dem Vorgehen der Redaktion nicht einverstanden. Und sie werfen «Patti Chiari» vor, die Vorwürfe seien aus dem Zusammenhang gerissen. Inhaltliche Angaben zum Wettbewerb machen sie aber nicht.
Prämierter Wein im Detailhandel
«Patti Chiari» findet Goldmedaillen von «Gilbert et Gaillard» in den Regalen von Denner und Aldi. Was wissen sie über diese Auszeichnung? Aldi schreibt, dass es sich bei dem betreffenden Wein um ein «limitiertes Angebot handelt, das nicht zum üblichen Sortiment» gehört. Sie fügen hinzu, dass es dem Produzenten und nicht dem Händler obliege, die Wettbewerbe auszuwählen und deren Zuverlässigkeit zu beurteilen.
Ähnlich klingt es bei Denner: «Wie der Wettbewerb abläuft, was die Kriterien sind, wie die Jury zusammengesetzt ist, kenne ich nicht», sagt Denner-Weinmanager David Jean. Die Weinproduzenten wählten die Wettbewerbe aus, und: «Bei uns ist das Preis-Leistungs-Verhältnis das Einkaufskriterium. Ob die Medaille darauf ist oder nicht, ist beim Einkauf egal.»