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Food Waste – Menschen ernähren sich aus dem Container
Aus Kassensturz vom 09.05.2023.
abspielen. Laufzeit 10 Minuten 51 Sekunden.

Food Waste Was alles in den Abfalltonnen der Detailhändler landet

Lebensmittelläden werfen kiloweise Lebensmittel weg, dabei könnten Bedürftige damit gut über die Runden kommen.

Ich kam durch einen Zufall auf die Idee: Mein Sohn erzählte mir, dass er im Container einer Denner-Filiale literweise volle Orangensaft-Petflaschen gesehen hatte. Er machte ein Bild seines Fundes. Der Orangensaft hatte das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten.

Viele Sechserpacks mit Orangensaft in einem Container entsorgt.
Legende: Nicht korrekt entsorgt: Orangensaft landet im Container. SRF

Das Bild erstaunte mich. Was sonst noch in Containern von Lebensmittelläden landet, fragte ich mich. Das ist der Beginn meiner Container-Recherche für «Kassensturz».

Kurz darauf finde ich im selben Container literweise Weissbier, in Aludosen. Wie beim Orangensaft ist auch beim Bier das Datum abgelaufen. Die Entsorgung im Gewerbekehricht ist jedoch nicht korrekt: So werden Bier und Orangensaft geschreddert und verbrannt. Ein Bier «rette» ich aus dem Container und nehme es nach Hause. Ist es noch geniessbar? Dazu später mehr.

Diverse 12er-Packungen Bierdosen in einem Container.
Legende: Weissbier wird geschreddert und verbrannt. SRF

Konfrontiert mit dieser Entsorgung im Abfallcontainer erklärt der Mediensprecher von Denner, Thomas Kaderli, dass es sich dabei um Einzelfälle handle, bei denen «interne Vorgaben nicht erfüllt wurden». Die betroffene Filiale würde nun nachgeschult.

Kassensturz-Redaktor Christof Schneider untersucht einen Container.
Legende: Was finde ich im Container? SRF

Doch es bleibt nicht bei diesen Funden im Gewerbekehricht. Kurz darauf mache ich mich an einem Samstagabend um 21:00 Uhr auf den Weg Richtung Container. Vor Ort stelle ich erstaunt fest, dass ich nicht allein bin. Eine ältere Frau beugt sich über einen Bioabfall-Container und suchte nach Lebensmitteln.

Dieses Essen aus dem Container reicht mir für fünf Tage.
Autor: Frau, anonym

Was sie herauszieht, überrascht mich: ein frisches Tessiner-Brot, ein Chicken-Bowl-Salad, dessen Mindesthaltbarkeitsdatum am folgenden Tag, einem Sonntag, abläuft, zwei Schweins-Nierstück-Steaks, deren Datum erst am Montag ablaufen würde, eine marinierte Pouletbrust und Crevetten, die am Samstag ablaufen.

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«Ich bin eine arme Frau»
Aus Kassensturz vom 08.05.2023.
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Für die Frau, die anonym bleiben möchte, eine gute Ausbeute: «Ich bin eine arme Frau. Dieses Essen aus dem Container reicht mir für fünf Tage.»

Ein paar Tage später gehe ich zu einer anderen Filiale. Was finde ich hier in den zugänglichen Containern? Wieder Brot und Fleischkäse, dessen Datum abgelaufen ist.

Im Gegensatz zu Migros und Coop sind Bioabfälle von Denner oft zugänglich. Ich suche mehrmals nach Containern bei Migros und Coop, ohne Erfolg. Migros begründet gegenüber «Kassensturz» diese «Entfernung der Produkte» mit dem «Prozess des Verderbens» und der damit verbundenen Frage der Lebensmittel- und Hygienesicherheit: «Biogene Abfälle können Risiken eines Schädlingsbefalls bergen und das unüberwachte Betreten von Betriebsgeländen kann zu Unfällen führen.»

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Kiloweise Erdbeeren im Container

Über eine anonyme Quelle erhalte ich trotzdem Einblick in einen Migros-Container mit Lebensmittelabfällen: Auf dem Bild, das mir zugespielt wurde, ist ein Container zu sehen, gefüllt mit Erdbeeren. Daneben: Weitere Früchte, die offenbar entsorgt werden.

Container gefüllt mit Erdbeeren. Daneben Kisten mit weiteren Erdbeeren und diversen Früchten.
Legende: Anonym zugestellt: Ein Foto aus einer Migros-Filiale. ZVG

Die Migros kann zum einzelnen Bild keine Angaben machen, hält aber fest: «Knapp 99 Prozent aller Lebensmittel bei der Migros werden als Lebensmittel verkauft oder an gemeinnützige Organisationen gespendet. Der Rest wird zum überwiegenden Teil hochwertig verwertet – als Biogas, Tierfutter oder Kompost.»

Und die anderen Detailhändler?

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Auch die anderen Detailhändler werfen Lebensmittel weg, die Zahlen sind jedoch nicht vergleichbar:

  • Lidl schreibt: «Bei Lidl betrug der Gesamtwert an Food Waste Ende Geschäftsjahr 2020 21.1 kg/m2 Verkaufsfläche.» 
  • Aldi will zum Thema Food Waste keine Zahlen bekannt geben.
  • Volg hat noch keine «fundierte» Food Waste Zahlen, die kommuniziert werden können.
  • Coop schreibt: «Coop kann nur 0.2 Prozent der Lebensmittel, die in die Läden gelangen, nicht verwenden.»

Bei meiner Container-Recherche zeigt sich, dass die Denner-Container oft zugänglich sind – und das schätzen einige Menschen. So auch an diesem Abend: eine Frau sucht im Container nach einem Brot und wird fündig. Denn Brot, das fällt mir bei meiner Recherche immer wieder auf, hat es oft kiloweise im Bioabfall.

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Kiloweise Brot landet im Abfall
Aus Kassensturz vom 08.05.2023.
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Doch wieso landet so viel Brot im Bioabfall? Thomas Kaderli, Mediensprecher von Denner, erklärt den Brotüberschuss mit Lebens- und Einkaufsgewohnheiten der Kunden: «Konsumentinnen und Konsumenten kaufen heute nicht nur spontaner, sondern auch zeitlich flexibler über den Tag verteilt ein. Wochenendkäufe nehmen ab, Frischprodukte wie Backwaren werden oft täglich eingekauft und somit jeden Tag bis Ladenschluss nachgefragt. Die Nachfrage verändert das Angebot in den Läden von Denner und auch allen anderen Mitbewerbern.»

Frischprodukte wie Backwaren werden oft täglich eingekauft und somit jeden Tag bis Ladenschluss nachgefragt.
Autor: Thomas Kaderli Mediensprecher Denner

Zudem sei die Menge an Brot, die nicht mehr verkauft werden kann, gesenkt worden, dank Aufbacken in den Filialen, «so kann jeder Standort flexibel auf den Tagesbedarf reagieren», erklärt er. Trotzdem stelle ich mir die Frage: Warum muss das viele Brot, muss Fleisch und Salat entsorgt werden? Wäre es nicht sinnvoller, diese Lebensmittel gleichentags zu spenden?

Diese Frage stellt sich mir umso mehr, als ich die Gassenarbeit des Vereins Incontro an der Langstrasse in Zürich besuche. Jeden Abend stehen bis zu 300 Menschen an, um eine warme Mahlzeit oder Lebensmittel zu erhalten. Hinter diesem gemeinnützigen Angebot unter freiem Himmel stehen Schwester Ariane und Pfarrer Karl Wolf.

Ich zeige Schwester Ariane die Bilder meiner Container-Recherche: «Das macht mich betroffen, wenn ich sehe, wie viele Lebensmittel weggeworfen werden. Wenn ich das den Menschen hier zeigen würde, wären sie schockiert. Fleisch, Salat, Orangensaft, Pizza, das ist alles teure Ware, die sich die Leute nicht leisten können.»

Fleisch, Brot und Salat in einer Tonne.
Legende: Gefunden in der Tonne. Schwester Ariane ist betroffen: «Solche Lebensmittel könnten wir spenden.» SRF

Schwester Ariane wäre froh um diese Waren und würde eine Zusammenarbeit mit Denner sehr begrüssen. Was sagt Denner zur Spenden-Idee? «Denner prüft alle Anfragen auf ihre Umsetzbarkeit. Um den grösstmöglichen Effekt zu erzielen, favorisieren wir Lösungen, die national und an allen 860 Standorten umgesetzt werden können.»

Freiwillige gegen Food Waste

Ein anderer Weg, Lebensmittel vor dem Container zu retten, geht die Plattform foodsharing.network: Sie setzt sich international gegen Food Waste ein – mit tausenden Freiwilligen. René Mettler ist einer von ihnen. Er ist Co-Bezirksverantwortlicher Foodsharing Zürich und holt oft Lebensmittel bei Detailhändlern, Bäckereien oder Restaurants ab, die nicht von karitativen Organisationen abgeholt werden konnten und sonst weggeworfen würden.

Bei unserem Treffen in Zürich hat er Salat, Früchte und Donuts dabei. «Das habe ich heute Morgen bei einer Aldi-Filiale abgeholt. Mit Aldi haben wir mittlerweile zehn Kooperationen im Raum Zürich. Wir würden uns wünschen, dass noch mehr Freiwillige sowie auch andere Detailhändler mitmachen.»

Kühlschrank mit Gemüse, Früchten und Brot
Legende: Madame Frigo: Öffentliche Kühlschränke gegen Foodwaste ZVG

Die Lebensmittel deponiert er unter anderem im öffentlich zugänglichen Kühlschrank von Madame Frigo. Das ist ein gemeinnütziger Verein, der sich gegen Food Waste einsetzt. Schweizweit gibt es 116 Kühlschränke. Im vergangenen Jahr konnten so 175 Tonnen Lebensmittel auf alle Kühlschränke verteilt werden.

Denner bekämpft Food Waste aus ökologischen und ökonomischen Gründen seit Jahren intensiv und sehr erfolgreich.
Autor: Thomas Kaderli Mediensprecher Denner

Und was macht Denner gegen Food Waste? Der Mediensprecher hält fest, dass das Unternehmen Food Waste aus «ökologischen und ökonomischen Gründen seit Jahren intensiv und sehr erfolgreich bekämpft.» Dank Massnahmen entlang der gesamten Lieferkette betrage die Food-Waste-Quote bei Denner «heute nur noch 0,74 Prozent, und sie wird dank ambitionierten Zielen weiter sinken. Aus organischen Abfällen entsteht Biogas.»

Was macht Denner gegen Foodwaste?

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Auf Anfrage von «Kassensturz» zählt Denner folgende Massnahmen gegen Foodwaste auf:

  • Schrittweise Preisreduktion mittels Rabattkleber kurz vor dem Ablauf der Haltbarkeit. Von anfangs 25 Prozent bis zu 50 Prozent Rabatt am letzten Verkaufstag. So können Lebensmittel vor Ablauf der Haltbarkeit noch verkauft werden.
  • Die Rabattaufkleber tragen den Hinweis, love food, reduce waste und sensibilisieren Kundinnen und Kunden für die Thematik Foodwaste.
  • Wechsel von «zu verbrauchen bis» auf ein «Mindesthaltbarkeitsdatum» bei Denner Eigenmarken. Nicht bei allen Frischprodukten möglich, aber bereits umgesetzt bei Molkereiprodukten wie Joghurt, Rahm, Margarine etc.
  • Zusammenarbeit mit Caritas, Tischlein deck dich, Schweizer Tafel, Too Good To Go und anderen Partnern, um noch geniessbare Lebensmittel, die laut Gesetz nicht mehr verkauft werden dürfen, abgeben zu können. 
  • Öffentliche Aufklärungsarbeit mit gemeinnützigen Organisationen wie Food Ninjas o.ä.
  • Laufende Schulung für Mitarbeitende. Zum Beispiel Pflege der Frischprodukte, Optimierungen bei Aufbacken, etc.
  • Zusätzliche Kontrollen bei Lieferanten und in den Verteilzentralen, um vorzeitigen Verderb erkennen zu können.
  • Sensibilisierung der Konsumentinnen und Konsumenten in den sozialen Medien, auf unserer Homepage, in den wöchentlich verschickten Newslettern und dem Gratisflyer «Denner Woche», auf allesaufzukunft.ch etc.

Zurück zum Beginn meiner Recherche: jetzt teste ich noch das Bier, das ich aus dem Container gerettet habe. Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist inzwischen vor sechs Wochen abgelaufen. Beim Einschenken bemerke ich keinen Unterschied an Farbe oder Schaum, und auch der Geschmack: tipptopp!

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Studiogespräch mit Andreas Wyss, Präsident Foodwaste.ch
Aus Kassensturz vom 09.05.2023.
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Kassensturz, 09.05.23, 21:05 Uhr

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