Ich kam durch einen Zufall auf die Idee: Mein Sohn erzählte mir, dass er im Container einer Denner-Filiale literweise volle Orangensaft-Petflaschen gesehen hatte. Er machte ein Bild seines Fundes. Der Orangensaft hatte das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten.
Das Bild erstaunte mich. Was sonst noch in Containern von Lebensmittelläden landet, fragte ich mich. Das ist der Beginn meiner Container-Recherche für «Kassensturz».
Kurz darauf finde ich im selben Container literweise Weissbier, in Aludosen. Wie beim Orangensaft ist auch beim Bier das Datum abgelaufen. Die Entsorgung im Gewerbekehricht ist jedoch nicht korrekt: So werden Bier und Orangensaft geschreddert und verbrannt. Ein Bier «rette» ich aus dem Container und nehme es nach Hause. Ist es noch geniessbar? Dazu später mehr.
Konfrontiert mit dieser Entsorgung im Abfallcontainer erklärt der Mediensprecher von Denner, Thomas Kaderli, dass es sich dabei um Einzelfälle handle, bei denen «interne Vorgaben nicht erfüllt wurden». Die betroffene Filiale würde nun nachgeschult.
Doch es bleibt nicht bei diesen Funden im Gewerbekehricht. Kurz darauf mache ich mich an einem Samstagabend um 21:00 Uhr auf den Weg Richtung Container. Vor Ort stelle ich erstaunt fest, dass ich nicht allein bin. Eine ältere Frau beugt sich über einen Bioabfall-Container und suchte nach Lebensmitteln.
Dieses Essen aus dem Container reicht mir für fünf Tage.
Was sie herauszieht, überrascht mich: ein frisches Tessiner-Brot, ein Chicken-Bowl-Salad, dessen Mindesthaltbarkeitsdatum am folgenden Tag, einem Sonntag, abläuft, zwei Schweins-Nierstück-Steaks, deren Datum erst am Montag ablaufen würde, eine marinierte Pouletbrust und Crevetten, die am Samstag ablaufen.
Für die Frau, die anonym bleiben möchte, eine gute Ausbeute: «Ich bin eine arme Frau. Dieses Essen aus dem Container reicht mir für fünf Tage.»
Ein paar Tage später gehe ich zu einer anderen Filiale. Was finde ich hier in den zugänglichen Containern? Wieder Brot und Fleischkäse, dessen Datum abgelaufen ist.
Im Gegensatz zu Migros und Coop sind Bioabfälle von Denner oft zugänglich. Ich suche mehrmals nach Containern bei Migros und Coop, ohne Erfolg. Migros begründet gegenüber «Kassensturz» diese «Entfernung der Produkte» mit dem «Prozess des Verderbens» und der damit verbundenen Frage der Lebensmittel- und Hygienesicherheit: «Biogene Abfälle können Risiken eines Schädlingsbefalls bergen und das unüberwachte Betreten von Betriebsgeländen kann zu Unfällen führen.»
Kiloweise Erdbeeren im Container
Über eine anonyme Quelle erhalte ich trotzdem Einblick in einen Migros-Container mit Lebensmittelabfällen: Auf dem Bild, das mir zugespielt wurde, ist ein Container zu sehen, gefüllt mit Erdbeeren. Daneben: Weitere Früchte, die offenbar entsorgt werden.
Die Migros kann zum einzelnen Bild keine Angaben machen, hält aber fest: «Knapp 99 Prozent aller Lebensmittel bei der Migros werden als Lebensmittel verkauft oder an gemeinnützige Organisationen gespendet. Der Rest wird zum überwiegenden Teil hochwertig verwertet – als Biogas, Tierfutter oder Kompost.»
Bei meiner Container-Recherche zeigt sich, dass die Denner-Container oft zugänglich sind – und das schätzen einige Menschen. So auch an diesem Abend: eine Frau sucht im Container nach einem Brot und wird fündig. Denn Brot, das fällt mir bei meiner Recherche immer wieder auf, hat es oft kiloweise im Bioabfall.
Doch wieso landet so viel Brot im Bioabfall? Thomas Kaderli, Mediensprecher von Denner, erklärt den Brotüberschuss mit Lebens- und Einkaufsgewohnheiten der Kunden: «Konsumentinnen und Konsumenten kaufen heute nicht nur spontaner, sondern auch zeitlich flexibler über den Tag verteilt ein. Wochenendkäufe nehmen ab, Frischprodukte wie Backwaren werden oft täglich eingekauft und somit jeden Tag bis Ladenschluss nachgefragt. Die Nachfrage verändert das Angebot in den Läden von Denner und auch allen anderen Mitbewerbern.»
Frischprodukte wie Backwaren werden oft täglich eingekauft und somit jeden Tag bis Ladenschluss nachgefragt.
Zudem sei die Menge an Brot, die nicht mehr verkauft werden kann, gesenkt worden, dank Aufbacken in den Filialen, «so kann jeder Standort flexibel auf den Tagesbedarf reagieren», erklärt er. Trotzdem stelle ich mir die Frage: Warum muss das viele Brot, muss Fleisch und Salat entsorgt werden? Wäre es nicht sinnvoller, diese Lebensmittel gleichentags zu spenden?
Kann ich das noch essen?
Diese Frage stellt sich mir umso mehr, als ich die Gassenarbeit des Vereins Incontro an der Langstrasse in Zürich besuche. Jeden Abend stehen bis zu 300 Menschen an, um eine warme Mahlzeit oder Lebensmittel zu erhalten. Hinter diesem gemeinnützigen Angebot unter freiem Himmel stehen Schwester Ariane und Pfarrer Karl Wolf.
Ich zeige Schwester Ariane die Bilder meiner Container-Recherche: «Das macht mich betroffen, wenn ich sehe, wie viele Lebensmittel weggeworfen werden. Wenn ich das den Menschen hier zeigen würde, wären sie schockiert. Fleisch, Salat, Orangensaft, Pizza, das ist alles teure Ware, die sich die Leute nicht leisten können.»
Schwester Ariane wäre froh um diese Waren und würde eine Zusammenarbeit mit Denner sehr begrüssen. Was sagt Denner zur Spenden-Idee? «Denner prüft alle Anfragen auf ihre Umsetzbarkeit. Um den grösstmöglichen Effekt zu erzielen, favorisieren wir Lösungen, die national und an allen 860 Standorten umgesetzt werden können.»
Freiwillige gegen Food Waste
Ein anderer Weg, Lebensmittel vor dem Container zu retten, geht die Plattform foodsharing.network: Sie setzt sich international gegen Food Waste ein – mit tausenden Freiwilligen. René Mettler ist einer von ihnen. Er ist Co-Bezirksverantwortlicher Foodsharing Zürich und holt oft Lebensmittel bei Detailhändlern, Bäckereien oder Restaurants ab, die nicht von karitativen Organisationen abgeholt werden konnten und sonst weggeworfen würden.
Bei unserem Treffen in Zürich hat er Salat, Früchte und Donuts dabei. «Das habe ich heute Morgen bei einer Aldi-Filiale abgeholt. Mit Aldi haben wir mittlerweile zehn Kooperationen im Raum Zürich. Wir würden uns wünschen, dass noch mehr Freiwillige sowie auch andere Detailhändler mitmachen.»
Die Lebensmittel deponiert er unter anderem im öffentlich zugänglichen Kühlschrank von Madame Frigo. Das ist ein gemeinnütziger Verein, der sich gegen Food Waste einsetzt. Schweizweit gibt es 116 Kühlschränke. Im vergangenen Jahr konnten so 175 Tonnen Lebensmittel auf alle Kühlschränke verteilt werden.
Denner bekämpft Food Waste aus ökologischen und ökonomischen Gründen seit Jahren intensiv und sehr erfolgreich.
Und was macht Denner gegen Food Waste? Der Mediensprecher hält fest, dass das Unternehmen Food Waste aus «ökologischen und ökonomischen Gründen seit Jahren intensiv und sehr erfolgreich bekämpft.» Dank Massnahmen entlang der gesamten Lieferkette betrage die Food-Waste-Quote bei Denner «heute nur noch 0,74 Prozent, und sie wird dank ambitionierten Zielen weiter sinken. Aus organischen Abfällen entsteht Biogas.»
Zurück zum Beginn meiner Recherche: jetzt teste ich noch das Bier, das ich aus dem Container gerettet habe. Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist inzwischen vor sechs Wochen abgelaufen. Beim Einschenken bemerke ich keinen Unterschied an Farbe oder Schaum, und auch der Geschmack: tipptopp!