«Als ich aus der Reha kam, meldete ich mich bei Exit an.» Das ist die erschreckende Aussage von Jessica Aebi. Die 39-Jährige ist schwer krank.
Sie hat die Diagnose Long Covid/ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom). Eine komplexe, neuroimmunologische Erkrankung.
Ärztlich verordnete Reha
Im Frühling drängen Ärzte und die Invalidenversicherung Jessica Aebi auf eine Reha. In der Hoffnung auf Besserung nimmt sie die Strapazen eines Reha-Aufenthalts auf sich.
Doch bereits nach einigen Tagen merkt sie, dass das Setting der Klinik ihren Bedürfnissen überhaupt nicht entspricht.
Belastungsgrenze wird nicht eingehalten
Das Therapieprogramm sei das eine gewesen, sagt Jessica Aebi. Die Umgebung, das andere. «Alleine das Essen im Speisesaal mit hundert anderen Leuten brachte mich an den Anschlag», sagt sie.
Die kranke Frau erleidet während des Aufenthaltes in der Klinik Gais mehrere sogenannte Crashes – Zusammenbrüche, die ein bis zwei Tage nach der Überanstrengung eintreten. Im Austrittsbericht steht: «Aufgrund der sich kumulierenden Überbelastung verschlechterte sich auch die Funktionalität der Patientin».
Begleitung statt Aktivierung
Laut Gregory Fretz, Leiter der ME/CFS-Sprechstunde am Kantonsspital Graubünden, seien Menschen mit diesem Krankheitsbild in Rehas oft schon von der Umgebung überfordert. «Das Leitsymptom dieser Krankheit, die sogenannte PEM (Post Exertional Malaise) oder Belastungsintoleranz, kann bei körperlicher oder kognitiver Überschreitung der individuellen Belastungsgrenze zu irreparablen Schäden führen.»
50 Prozent der Betroffenen sind nach der Reha kränker
Erstmals zeigt eine nicht-repräsentative Umfrage der Patientenorganisationen Long Covid und ME/CFS das Ausmass der Schädigung durch Reha-Therapien bei Menschen mit diesem Krankheitsbild.
Schockierendes Fazit: Von über 800 Befragten sagt die Hälfte, die Reha habe ihren Gesundheitszustand verschlechtert. Bei 17 Prozent führt er zu einer Verbesserung, bei 33 Prozent bleibt der Gesundheitszustand stabil. «Es kann nicht sein, dass eine Therapie, die oft verschrieben wird, bei 50 Prozent der Betroffenen zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes führt», sagt Manuela Bieri von der Vereinigung Long Covid.
Spezialisierte Abteilungen könnten Lösung sein
«Die Struktur der Rehakliniken ist nicht ausgerichtet, diesen Patienten und Patientinnen und ihrem Krankheitsbild gerecht zu werden», sagt der Arzt und Fachexperte Gregory Fretz. Um Fehlbehandlungen zu vermeiden, bräuchte es spezialisierte Kliniken und Abteilungen, welche sich dezidiert um diese Patientengruppe kümmerten.
Jessica Aebi hat sich auch ein halbes Jahr nach dem Klinikaufenthalt nicht davon erholt. Ihr geht es nach wie vor schlechter als zuvor. Und bei Exit ist sie immer noch angemeldet.