Hildegard Borath leidet seit Jahren leidet an chronischen Rückenschmerzen. Ihr Arzt verschreibt ihr deshalb eine 20er-Packung Cortison. Frau Borath benötigt jedoch nur 12 Tabletten. In der Apotheke dann der Schock: Sie erhält eine 100er-Packung. Sie muss 88 Tabletten wegwerfen. Auch mit anderen Medikamenten macht sie ähnliche Erfahrungen.
Betroffene melden «Kassensturz» immer wieder ähnliche Fälle von viel zu grossen Medikamentenpackungen. Anders verläuft es für den Pensionär Peter Sutter. In Vorbereitung auf eine Darmspiegelung muss er zwei Tabletten eines Abführmittels nehmen.
Die Apothekerin reicht ihm statt der 30er-Packung die benötigten zwei Tabletten gratis auf die Hand. Um keine Medikamente zu verschwenden, hat die Apotheke eine interne Regelung zur Einzelabgabe. Erlaubt ist das aber nicht.
Keine Ausweitung der Teilabgabe geplant
Die Medikamentenverschwendung ist seit über 15 Jahren im Parlament ein Thema. Doch warum wurde die sogenannte Teilabgabe erst mit der aktuellen Medikamentenknappheit eingeführt?
Das Bundesamt für Gesundheit BAG hat vor drei Jahren eine Feldstudie zur Einzelabgabe durchgeführt. Die Resultate zur Studie erscheinen voraussichtlich Ende Jahr. Eine Ausweitung auf andere Medikamente wird laut BAG erst nach der Auswertung der Studie genauer geprüft, sagt Simon Gottwalt, Projektleiter Antibiotika-Resistenzen beim BAG.
Pflegefachpersonal nutzt Grauzone aus
Alters- und Pflegeheimen müssen besonders viele Medikamente wegwerfen. Die Bewohnerinnen und Bewohner nehmen grosse Mengen Medikamente ein. Muss ein Präparat ausgewechselt werden oder stirbt ein Bewohner, dürfen Restposten nicht für andere Patienten verwendet werden.
Für das Pflegepersonal unverständlich. Unter Wahrung der Anonymität bestätigen mehrere Pflegefachfrauen gegenüber «Kassensturz», dass angebrochene Packungen trotzdem für andere Patienten verwendet würden.
Lösungen wären da, doch niemand packt an
Die Teilabgabe wäre auch für Heime eine Lösung. Packungen werden dabei unter den Bewohnerinnen und Bewohnern aufgeteilt. Abgerechnet wird über Pauschalen pro Bewohner. Solche Projekte liefen tatsächlich lange in verschiedenen Kantonen.
Beteiligt waren die Alters- und Pflegeheime, der Krankenkassenverband Santésuisse und der Apothekerverband. Die Projekte wurden jedoch gestoppt. Die Schuld dafür schieben sich die Beteiligten gegenseitig zu und argumentieren mit ungenügender Gesetzesgrundlage und den Kosten.
Eine zweite Möglichkeit, um die Medikamentenverschwendung in den Heimen zu senken, ist das sogenannte Blistern. Dabei werden Tabletten aus den Originalpackungen neu und für jeden Patienten portioniert und verpackt.
Doch: Die Krankenkassen zahlen diese Leistung nicht. Viele Alters- und Pflegeheime verzichten deshalb auf das Blistern.
Fazit: Es gäbe Möglichkeiten, den Abfallberg zu reduzieren. Doch niemand packt das Problem richtig an.