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Künstlich auf alt gemacht
Aus Espresso vom 01.10.2024. Bild: SRF
abspielen. Laufzeit 10 Minuten 22 Sekunden.

Mode um jeden Preis Die Schattenseiten der Jeansproduktion in der Türkei

Hinter der coolen Optik stecken Kinderarbeit, Chemikalien und eine verschmutzte Umwelt.

Der Geruch ist beissend, die Arbeiter sind ungeschützt. Die Flüssigkeit, die gesprayt wird und als Nebel im Raum steht, sei absolut unbedenklich, sagt der Inhaber einer der zahlreichen Werkstätten in Istanbul.

Ein SRF-Team ist in die Türkei gereist, um die Zustände in der Jeansproduktion zu dokumentieren. Denn ein grosser Teil der Jeans in Schweizer Läden wird in der Türkei produziert.

So will es die Modeindustrie

«Das ist nur Farbe», so der Werkstatt-Inhaber. Doch der Arbeiter, der seine Spraydose mit Flüssigkeit aus einem blauen Fass füllt, sagt: «Kaliumpermanganat» – und sprayt weiter, Hose um Hose, Hunderte jeden Tag.

Mit Kaliumpermanganat bleichen die Arbeiter Jeans, damit sie aussehen, als würden sie bereits lange getragen – so will es die Modeindustrie. Es ist ein Giftstoff, der Augen, Haut und Atemwege schädigen kann und im Verdacht steht, unfruchtbar zu machen.

Kinderarbeit wegen zu tiefer Löhne

Was in diesem Betrieb auffällt: Ein grosser Teil der 30 Mitarbeiter sind Buben im Alter von 14, 15, 16 Jahren. «In diesem Alter kann man sich die Zusammensetzung von Chemikalien viel besser merken», sagt der Inhaber dazu. Er findet das unbedenklich: Wer früh beginne, sei früh ein Profi. Auch in vielen anderen Werkstätten trifft das «Kassensturz»-Team auf minderjährige Arbeiter.

In seinem Büro in der Innenstadt von Istanbul trifft SRF den Leiter der Clean Clothes Campaign in der Türkei, Bego Demir. Demir muss sich setzen, um ruhig atmen zu können. Er hat wegen seiner Arbeit in der Jeansindustrie knapp die Hälfte seiner Lungenfunktionen verloren. Er arbeitete als Sandstrahler. Dank seines hartnäckigen Einsatzes ist Sandstrahlen heute verboten.

Auch er begann mit 15 Jahren zu arbeiten: «Kinderarbeit gibt es, weil die Löhne zu tief sind. Wenn Arbeiter nicht überleben können mit ihrem Lohn, müssen die Kinder mitarbeiten.» Der Mindestlohn in der Türkei beträgt 435 Franken pro Monat. «Das ist viel zu wenig», kritisiert Demir. Er fordert existenzsichernde Löhne, und dies wären in der Türkei für eine vierköpfige Familie 1600 Franken.

Industrie bezahlt nicht für schonendere Methoden

«Was wir hier machen, ist verrückt», sagt Romain Narcy. Er ist Innovationsleiter von Ereks-Blue Matters. Seine Firma produziert Jeans für Marken wie Lacoste, Ralph Lauren oder Superdry.

Er zeigt, wie viele Chemikalien und welchen Aufwand es braucht, bis eine intakte Hose aussieht, als sei sie jahrelang getragen worden: Arbeiter müssen sie lasern, schleifen, mit Bimsstein waschen. Es braucht 100 Liter Wasser pro Hose und drei Stunden Arbeit, bis eine intakte Hose aussieht wie ein Vintage-Stück. «Das reduziert die Haltbarkeit massiv.»

«Kassensturz» ist an Ihrer Meinung interessiert

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Narcy sucht nach schonenderen Alternativen. Für das Besprayen mit der Chemikalie Kaliumpermanganat hätte er eine gefunden. Jedoch: «Wenn die Jeansmarken hören, dass das 50 Cent pro Hose mehr kosten würde, wollen die meisten beim Kaliumpermanganat bleiben», sagt er. Seine Arbeiterinnen sind beim Sprayen am ganzen Körper geschützt.

Die Chemikalie bedroht nicht nur die Gesundheit der Menschen – sie ist auch nur mit grossem Aufwand abbaubar. Das interessiere die Modelabels jedoch nicht. «Die Umweltverschmutzung passiert ja hier, da sind sie nicht betroffen», kritisiert Narcy.

Stellungnahmen

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«Kassensturz» hat viele Labels und Unternehmen konfrontiert.

Bestseller AG (Jack and Jones, Only, Pieces, Vero Moda)

«BESTSELLER hat sich verpflichtet, die höchsten Standards für verantwortungsvolles Geschäftsgebaren in unserer globalen Lieferkette einzuhalten.

Die Türkei ist ein wichtiges Beschaffungsland für BESTSELLER. Unser Responsible Sourcing Team arbeitet eng mit unseren Lieferanten zusammen und führt regelmässige Besuche in den Fabriken durch, um die Einhaltung unserer ökologischen und sozialen Anforderungen zu überwachen.

Um Ihre Fragen bezüglich der sozialen Bedingungen zu beantworten: Wir verlangen von unseren Lieferanten, dass sie die nationalen Arbeitsgesetze bezüglich der Mindestlöhne einhalten, und wir haben eine Null-Toleranz-Politik bezüglich der Beschäftigung von Wanderarbeitern ohne Papiere.

Wir arbeiten mit unseren Lieferanten zusammen, um ihren ökologischen Fussabdruck zu minimieren. Ein Teil unserer Arbeit im Bereich der Chemikaliensicherheit besteht darin, dass wir von unseren Zulieferern verlangen, dass sie sich an strenge Richtlinien halten, die die ordnungsgemässe Verwendung von persönlicher Schutzausrüstung (PSA) und die sichere Lagerung von Chemikalien beinhalten. Während einige Lieferanten weiterhin Bimsstein verwenden, arbeiten wir mit allen Lieferanten zusammen, um synthetische Alternativen einzuführen.»

H&M

«Die Übernahme von Verantwortung für die Herstellung unserer Produkte war für uns schon immer von grundlegender Bedeutung, und wir nehmen jeden möglichen Verstoss gegen unsere Standards und Anforderungen sehr ernst.

Kinderarbeit ist für uns völlig inakzeptabel, und wir haben solide Massnahmen ergriffen, um sie zu verhindern und zu bekämpfen. Dies ist in unserer Nachhaltigkeitsverpflichtung, die ausnahmslos alle unsere Lieferanten einhalten müssen, klar festgelegt. Faire Arbeitsbedingungen, Gesundheit und Sicherheit in den Fabriken unserer Zulieferer und unsere Auswirkungen auf die Umwelt sind Bereiche, in denen wir seit fast drei Jahrzehnten proaktiv arbeiten und höhere Standards und strengere Anforderungen für unsere Produktion entwickeln.

Darüber hinaus sind wir in unseren wichtigsten Beschaffungsmärkten, wie z. B. in der Türkei, mit eigenen Teams präsent, was uns in die einzigartige Lage versetzt, täglich Kontakt zu den Fabriken unserer Lieferanten zu haben. Wir besuchen sie regelmässig und verfolgen genau, wie unsere Produktion abläuft. In unserem jährlichen Nachhaltigkeitsbericht berichten wir über Fälle, in denen unsere Mindestanforderungen nicht eingehalten wurden, und wie wir diesen nachgegangen sind. Deshalb können wir die in Ihrer Anfrage geschilderte Realität nicht erkennen.

Wir veröffentlichen unsere Lieferantenliste mit den Namen und Adressen der Lieferanten, mit denen wir eine Geschäftsbeziehung unterhalten. Unsere Lieferantenliste ist auf unserer Website zu finden, zusammen mit umfangreichen Daten zu den Löhnen in unseren grössten Beschaffungsmärkten, da wir uns sehr für die wichtige Arbeit zur Verbesserung der Löhne in unseren Beschaffungsmärkten einsetzen.»

Inditex (Zara)

«Inditex nimmt die Bedingungen in seiner Lieferkette äusserst ernst und verfügt über ein rigoroses und strenges Compliance-System, um sicherzustellen, dass seine Produkte ethisch bezogen werden und alle unsere Lieferanten sämtliche relevanten globalen und lokalen Standards für den Umgang mit Arbeitskräften erfüllen. Sollte in unserer Lieferkette irgendwo ein Verstoss gegen unseren Verhaltenskodex (hier verfügbar) festgestellt werden, ergreifen wir umgehend Massnahmen, um diesen zu beheben. Seien Sie versichert, dass unsere Priorität darin besteht, die notwendigen Massnahmen zu ergreifen und die richtigen Verfahren umzusetzen, um die Rechte der Arbeitskräfte zu wahren.

Daher möchten wir Sie aufgrund der obigen Ausführungen nochmals höflich bitten, uns genaue Informationen (Name, Unternehmen, Standort) über die in Ihrer ersten E-Mail erwähnte Fabrik zur Verfügung zu stellen, damit wir zunächst prüfen können, ob diese Teil unserer Lieferkette ist – und auf dieser Grundlage eine entsprechende Untersuchung einleiten können.

Weitere Details über die Art der Informationen, die Sie vorbereiten (Format, Umfang, erwartetes Veröffentlichungsdatum usw.), sind ebenfalls im Sinne der Fairness willkommen.

Zusätzlich, zu Ihrem Hintergrundwissen und nicht zur Zitierung in Bezug auf diese spezifische Anfrage, möchten wir Ihnen unser strenges Compliance-Programm unterstreichen (mit regelmässigen Audits und Bewertungen, die in allen Märkten, in denen wir tätig sind, einheitlich durchgeführt werden) sowie die kontinuierliche Schulung unserer Lieferanten. Unsere einzigartige Strategie «Arbeiter im Mittelpunkt» basiert auf der Achtung der Menschen- und Arbeitsrechte, sozialem Dialog, Wohlbefinden der Arbeitnehmer und deren Stärkung in unserem Arbeitsumfeld und in der gesamten Branche. Wir arbeiten nach dem Prinzip der kontinuierlichen Verbesserung und in Zusammenarbeit mit den wichtigsten Akteuren der Branche, wie es der Fall bei unserer Partnerschaft mit IndustriALL Global Union ist, der internationalen Gewerkschaftsföderation, mit der wir ein wegweisendes Global Framework Agreement abgeschlossen haben, um starke Arbeitsbeziehungen und Zufriedenheit der Arbeitskräfte zu erreichen.»

Pepe Jeans

«Bei Pepe Jeans verpflichten wir uns zu Nachhaltigkeit in allen Aspekten unserer Geschäftstätigkeit. Unser Ziel ist es, langfristige Beziehungen mit Partnern aufzubauen, die unsere Werte teilen und dazu beitragen, positive Auswirkungen auf die Gemeinschaft und den Planeten zu schaffen. Unsere Beziehung zu unserer Lieferkette wird durch unser Ethical & Transparent Sourcing Programme geregelt, das den Rahmen für die sozialen, ethischen und ökologischen Standards festlegt, die jede Produktionseinheit innerhalb der Pepe Jeans Lieferkette einhalten muss, um eine Geschäftsbeziehung aufzubauen.

Wir erkennen die Herausforderungen in der Textilindustrie an, weshalb wir uns der kontinuierlichen Entwicklung hin zu verantwortungsvolleren Lösungen verschrieben haben. Wir streben danach, fortlaufende Verbesserungen zu implementieren, die uns dabei helfen, die EU-Vorschriften einzuhalten. In diesem Zusammenhang sind wir bestrebt, den Digital Product Passport und weitere Projekte zur Verbesserung der Produkttransparenz umzusetzen.

Pepe Jeans ist seit 50 Jahren ein Vorreiter in der Denim-Mode und bleibt seinem authentischen Erbe treu. Im Rahmen unserer Entwicklung und Transformation haben wir unsere Pepe Future Plattform erweitert, um als Rahmenwerk für unsere nachhaltigen Produkte zu dienen. Derzeit sind 89 % unserer Denim-Produkte nachhaltig, wobei 62 % unserer Jeanshosen für Erwachsene entweder mit Wiser Wash gewaschen oder durch die Environmental Impact Measurement (EIM) als grün bewertet sind. Darüber hinaus enthalten 88 % unserer Denim-Stoffe entweder BCI-Fasern, recycelte Fasern oder beides.»

Replay

«Zunächst möchten wir Sie darüber informieren, dass wir keine Jeans in der Türkei herstellen oder aus der Türkei importieren. Unsere Aktivitäten in diesem Gebiet beschränken sich auf den Einkauf kleiner Mengen an Hemden.

Dies vorausgeschickt, bestätigen wir, unabhängig vom Herstellungsland, dass die Einhaltung ethischer Standards in unserer gesamten Lieferkette einen unserer Kernwerte darstellt und wir daher jede Beschwerde bezüglich der Arbeitsbedingungen in Produktionsstätten sehr ernst nehmen.

Um sicherzustellen, dass die höchsten Standards eingehalten werden, haben wir einen Verhaltenskodex eingeführt, der ausdrücklich Ausbeutung, Diskriminierung und unsichere Arbeitsbedingungen verbietet. Dieser Verhaltenskodex bildet die Grundlage für alle unsere Beziehungen zu unseren Partnern, mit denen wir eine aktive Zusammenarbeit pflegen, um Transparenz und Rückverfolgbarkeit in allen Phasen des Herstellungsprozesses zu fördern.

In diesem Sinne umfasst der Rahmen unserer Politik bereits die SA8000-Prinzipien, die einen weltweit anerkannten Standard zur Gewährleistung sozial verantwortlicher Praktiken am Arbeitsplatz darstellen, und wir setzen derzeit die notwendigen Schritte um, um diese Zertifizierung zu erlangen.

Wir sind der Meinung, dass wir über die notwendigen Kontrollen und Prozesse verfügen, um die Einhaltung der Prinzipien der unternehmerischen, sozialen und ökologischen Verantwortung zu gewährleisten. Dennoch bleiben wir voll und ganz verpflichtet, die sozialen, ökologischen und arbeitsrechtlichen Standards in unserer Lieferkette kontinuierlich zu verbessern, und begrüssen den fortlaufenden Dialog und die Transparenz zu diesem wichtigen Thema.»

Zalando

Möchte nicht Stellung nehmen.

Espresso, 1.10.2024, 8:10 Uhr;stal

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