Ein Arzt spricht von einem «Routineeingriff», das Spital hat den Eingriff in den letzten Jahren aber noch nie mehr als sieben Mal jährlich durchgeführt? Da würde man als Patientin hellhörig werden. Doch die Fallzahlen ihres bevorstehenden Eingriffs konnte Anna Gentile nirgends in Erfahrung bringen.
Fatal, denn der Chirurg der Klinik Gut im bündnerischen Fläsch habe ihre beginnende Osteoporose nicht berücksichtigt, und den Eingriff am Oberschenkel falsch berechnet. Die Folgen: aus der erwarteten dreimonatigen Arbeitspause wurden 15 Monate, in denen der Knochen nicht zusammenwuchs und die Schmerzen immens waren.
Lückenhafte Datenerfassung
Die Patientin ist nicht allein. 90’000 geschädigte Patientinnen und Patienten gibt es schätzungsweise jedes Jahr aufgrund von vermeidbaren Spitalfehlern, ein Viertel davon erleidet erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen.
Das Problem: Die Schweiz hat das teuerste Gesundheitssystem in Europa, erhält aber für Qualitätsdaten keine guten Noten. Seit einigen Jahren werden zwar Qualitätsindikatoren wie zum Beispiel Fallzahlen, Komplikations- oder Infektionsraten erfasst und veröffentlicht. Doch diese sind nicht immer flächendeckend vorhanden und für Laien ist es schwierig, sich durch den Begriffsdschungel zu kämpfen.
Pionierarbeit leistet Matthias Steiner, Leiter Gesundheitsdienste bei der Krankenkasse Concordia. Er hat für die Concordia-Versicherten ein Ranking für alle Spitaltypen erarbeitet. Zum Beispiel: Die Suche nach einem Spital für ein Kniegelenk-Implantat im Umkreis von fünfzig Kilometern um Olten: 33 Spitäler bieten diesen Eingriff an. Doch nur neun Kliniken sind gemäss Concordia empfehlenswert. Das bestplatzierte Spital, die Merian-Iselin-Klinik in Basel, weist die höchste Fallzahl auf.
Viele Spitäler erreichen Mindestfallzahlen nicht
Jährliche Mindestfallzahlen – je nach Eingriff zum Beispiel 50 pro Jahr – sind ein bekanntes Qualitätskriterium, das die schweizerische Gesundheitsdirektorenkonferenz seit 2009 empfiehlt. «Kassensturz» hat nachgefragt: Noch immer schreiben sieben Kantone keine Mindestfallzahlen vor, darunter auch grosse Kantone mit vielen Spitälern wie Luzern oder Graubünden.
Für Matthias Steiner von der Concordia unverständlich: «Viele Spitäler erreichen die Mindestfallzahlen nicht. Das kann ein Problem sein, dass beispielsweise noch mehr Komplikationen auftreten.»
Behandlungserfolg wäre entscheidend
Weiteres Qualitätskriterium: Der Behandlungserfolg aus Patientensicht – so genannte PROMs («Patient Reported Outcome Measures»). Dafür werden Patientinnen und Patienten zum Behandlungserfolg befragt, wie beispielsweise im Universitätsspital in Basel. Nach einer Schulteroperation etwa muss die Patientin regelmässig angeben, wie gut sie die Schulter schon wieder nutzen kann.
Für Andreas Müller, Chefarzt der Orthopädie am Universitätsspital Basel ist diese Form von Qualitätsmessung unabdingbar, da sie wirklich abbildet, wie es den Patientinnen und Patienten geht: «Die anderen Qualitätskriterien, die wir momentan haben wie zum Beispiel die Komplikationsraten, bilden das ja nicht ab.»
Zweitmeinung bleibt wichtig
Von einem nationalen Spitalvergleich des Behandlungserfolgs ist die Schweiz aber noch weit entfernt. Bis dahin gilt für Patientinnen und Patienten weiterhin: eine Zweitmeinung einholen und beim Aufklärungsgespräch kritisch nachfragen, wenn von «Routine» oder «viel Erfahrung» die Rede ist.