Irritiert stellt ein regelmässiger Vollmilchtrinker aus Rorschach bei näherem Hinsehen auf die Milchpackung fest, dass er gerade standardisierte Vollmilch trinkt. Also Milch, die teilentrahmt wurde und somit weniger Fett enthält als zum Beispiel Bio-Vollmilch. Für diesen Konsumenten ist das ein Etikettenschwindel: «Ich fühle mich verschaukelt», sagt er gegenüber dem SRF-Konsumentenmagazin «Espresso».
Kein Etikettenschwindel
Gleich vorweggesagt: Das ist kein Etikettenschwindel. Das Gesetz erlaubt es, dass auch teilentrahmte Standard-Milch mit Vollmilch angeschrieben werden darf. Die Schweiz orientiert sich hier schon seit zehn Jahren an der EU-Gesetzgebung. Es gelten jedoch klare Regeln: So muss standardisierte Vollmilch zum Beispiel klar als solche deklariert sein und einen Fettgehalt von mindestens 3,5 Prozent aufweisen. In der Regel ist dieser Wert auch der Standard.
Um ihn zu erreichen, wird der Milch während der Verarbeitung Fett entnommen und nachher wird dem Ganzen Milch mit weniger Fett beigemischt. Die Standardisierung mache den Verarbeitungsprozess letztlich einfacher und effizienter – und der Konsument erhalte stets die Milch, an die er gewohnt sei, heisst es aus der Milchindustrie.
«Standardisierung ist unnötig»
Kritiker der Standardisierung sehen dies anders: «Vollmilch ist Konsumenten-Täuschung» titelte etwa die Zeitung «Schweizer Bauer» heuer schon markig. «Milch ist ein Naturprodukt. Und deshalb sollte Milch auch möglichst naturbelassen bleiben. Diese Standardisierung ist unnötig», findet Barbara Steiner vom Schweizerischen Bauernverband gegenüber «Espresso».
Diese Meinung teilen auch die vereinigten Schweizer Milchproduzenten und viele Bauern. Vielen Konsumenten sei nicht bewusst, dass sie standardisierte Vollmilch trinken, sagt Werner Locher von der Zürcher Genossenschaft «Faire Milch Säuliamt». Und somit wüssten sie auch nicht, was ihnen entgehe: «Das Fett ist der Geschmacksträger in der Milch. Und deshalb hat naturbelassene Vollmilch auch mehr Geschmack.» Der Fettgehalt der natürlichen Vollmilch schwankt, meist liegt er aber bei 3,9 Prozent und mehr.
Barbara Steiner vom Bauernverband führt noch ein anderes Argument ins Feld: Ein zusätzlicher Butterberg. Das abgeschöpfte Fett aus dem Standardisierungsprozess wird nämlich in der Regel zu Butter verarbeitet: «So fallen jährlich 1000 Tonnen Butter zusätzlich an. Und das drückt wiederum auf die Preise.»
Der Ball liegt bei den Konsumenten
Die Kritiker der Standardisierung fordern deshalb, dass der Bund bei der Milchdeklaration über die Bücher geht. Diese Forderung stellen sie indes schon seit Jahren – ohne Erfolg. Bis auf Weiteres werde sich nichts an der heutigen Gesetzgebung ändern, heisst es beim zuständigen Bundesamt für Landwirtschaft und Veterinärwesen auf Anfrage.
Es liegt deshalb an den Konsumenten, sich die Verpackung näher anzuschauen. Bei Bio-Knospe-Produkten beispielsweise, regionaler Bio-Milch und natürlich auch bei der Milch direkt vom Bauernhof kann man sichergehen, dass hier der Name Vollmilch wirklich passt.