Zum Inhalt springen

Mission B Die Stadt ist biodiverser als man denkt

Graue Häuser, zubetonierte Strassen: In der Stadt gibt es kaum Platz für die Natur – könnte man meinen. Genau das Gegenteil ist aber der Fall.

Mauerblümchen
Legende: SRF

In der Stadt beherbergen Parkanlagen, Friedhöfe, Firmenareale und sogar Tramgeleise eine ungeahnte Vielfalt von Pflanzen und Tieren. «Die künstlich angelegten Flächen gleichen in ihren Strukturen natürlichen Lebensräumen wie Flussauen oder Trockenwiesen», erklärt Sabine Tschäppeler, Leiterin der Fachstelle Natur und Ökologie bei Stadtgrün Bern. Davon profitieren viele zum Teil seltene Tier- und Pflanzenarten.

In weiten Teilen des Mittellandes seien diese Lebensräume verschwunden, so Tschäppeler. Gross angelegte Felder und Kunstwiesen, die bis zu sieben Mal im Jahr gemäht werden, beherbergen kaum Wildpflanzen und damit auch keine Insekten und Vögel. Ganz anders die Grünanlagen, Gärten und Flachdächer der Städte.

Dachbegrünung in der Stadt Basel
Legende: Dachbegrünungen können nicht nur einen wichtigen Lebensraum für Pflanzen und Tiere darstellen, sie haben auch den positiven Effekt, dass sie der Entstehung von Hitzeinseln entgegenwirken. SRF

Auf kleinstem Raum gibt es hier die unterschiedlichsten Lebensräume. Von trocken und heiss bis schattig und feucht. Baumalleen, Hecken, Wiesenflächen und Steinmauern wechseln sich ab und dienen der Vernetzung. Viele Heuschreckenarten zum Beispiel leben zuerst in Wiesen und im Erwachsenenalter im Gebüsch. Gibt es nicht beide Lebensräume in engem Kontakt, können die Tiere nicht überleben.

Dass die Biodiversität in der Stadt pauschal grösser ist als auf dem Land, gilt laut Sabine Tschäppeler aber nur bedingt. In den Voralpen und im Alpengebiet sowie in Teilen des Jura gibt es noch vermehrt artenreiche Lebensräume wie Magerwiesen und Feuchtgebiete. Dort funktioniere auch die Vernetzung der Kleinstrukturen viel besser als in den stark genutzten Regionen des Mittellands. Da können die Städte dann doch nicht mithalten.

Zahlen und Fakten

Box aufklappen Box zuklappen
  • 67 % aller in der Schweiz heimischen Tierarten kommen in Schweizer Städten vor. (Quelle: Info Fauna)
  • 45 % aller in der Schweiz einheimischen Gefässpflanzenarten leben in Schweizer Städten. (Quelle: Info Flora)
  • 85 % der Schweizer Bevölkerung lebt heute im Siedlungsraum. (Quelle: Bundesamt für Statistik 2017)
  • Die Bedeutung von Siedlungsräumen für die Biodiversität ist mittlerweile schweizweit anerkannt. Die meisten grossen Städte haben eine extra Fachstelle für Naturschutz. Grünstadt Schweiz ist Aktionspartner von «Mission B».
  • Angestrebt werden sollte ein Anteil von mindestens 18 % naturnaher Lebensräume im Siedlungsgebiet. Diese sollten zudem gut vernetzt sein und höchstens 200 Meter auseinander liegen. (Sabine Tschäppeler, Leiterin der Fachstelle Natur und Ökologie bei Stadtgrün Bern)

Klein, aber oho

Auch kleine Flächen wie Privatgärten oder Balkone tragen einiges zur Biodiversität bei. Sie verbinden grössere Flächen miteinander und sind besonders in den Städten immer öfter naturnah gestaltet. Ein anderes Bild bietet sich laut Tschäppeler in vielen Dörfern und in der Agglomeration.

Die Kultur, wie ein Garten aussehen muss, ist in den Dörfern eine andere, als in den Städten.
Autor: Sabine Tschäppeler Leiterin der Fachstelle Natur und Ökologie bei Stadtgrün Bern

Den Grund dafür sieht sie im Kulturunterschied: «Die Kultur, wie ein Garten aussehen muss, ist in den Dörfern eine andere, als in den Städten. In den Städten lässt man häufig mehr Wildnis zu.» Steingärten beispielsweise, in Mode auf dem Land, sehe man in den Städten kaum.

Zukunft der Biodiversität in der Stadt?

Für Sabine Tschäppeler sind Städte eine Art Arche Noa. Arten, die im Umland verschwunden sind, haben hier überlebt. Doch auch in der Stadt werden Platz und Nutzungsdruck immer grösser. Viele Grünflächen verschwinden, das verdichtete Bauen wird so zum Problem.

Blumen an einer Tramhaltestelle
Legende: Ein Grossteil der Fläche in Städten ist versiegelt. SRF
Ob wir in der Schweiz die Biodiversität erhalten können, entscheidet sich mit in den Städten.
Autor: Sabine Tschäppeler Leiterin der Fachstelle Natur und Ökologie bei Stadtgrün Bern

Viele Arten könnten sich zwar im Moment in den Städten halten, seien aber auf zusätzlichen Lebensraum angewiesen. Um deren Überleben langfristig zu sichern, brauche es darum Massnahmen, ist sie überzeugt. Die Arten müssen sich im Umland wieder ausbreiten können, mit den Städten in der Funktion einer Biodiversitätsquelle.

In ihrer Arbeit setzt Tschäppeler besonders auf die Sensibilisierung kommender Generationen. «85 Prozent der Bevölkerung wohnt heute im Siedlungsgebiet. Wenn die Kinder einen emotionalen Zugang zur Natur erhalten sollen, müssen sie diesen auf dem Schulweg oder im Wohnumfeld bekommen», ist Tschäppeler überzeugt. Schliesslich seien es die Kinder, die der Natur in Zukunft Sorge tragen müssten.

Macht mit bei «Mission B»

Box aufklappen Box zuklappen

Meistgelesene Artikel