Selina Gasparin, die erste Schweizer Biathletin, die eine Olympiamedaille gewann, hat nicht nur Geschichte geschrieben, sondern auch den Weg für kommende Generationen geebnet.
Ihre Karriere war geprägt von einem einsamen Anfang, schwierigen Umständen und der unermüdlichen Entschlossenheit, Barrieren zu durchbrechen. Seit Anfang Jahr geht die Bündnerin noch einen Schritt weiter und kümmert sich als Cheftrainerin Nachwuchs bei Swiss Ski um die nächste Generation des Biathlons in der Schweiz.
Ein einsamer Start im Männerteam
Als Gasparin ihre Biathlonkarriere begann, war sie die einzige Frau im Schweizer Weltcup-Team. «Es gab ein etabliertes Herrenteam, aber bei den Frauen war ich allein. Alles war auf die Männer ausgerichtet, ich war nur ein Anhängsel», erzählt sie im Gespräch.
Wäre meine Schwester nicht ins Team gekommen, hätte ich vielleicht nicht weitergemacht.
Gasparin hatte andere Trainingszeiten, ass nicht mit ihren Kollegen zusammen und war allein in ihrem Zimmer. Sie fühlte sich oft einsam und ausgeschlossen, obendrauf herrschte dazumal eine Teamkultur, in der auch mal primitive Sprüche von sich gegeben wurden. Der Wendepunkt kam 2011, als ihre jüngere Schwester Elisa zum Team stiess. «Endlich war ich nicht mehr allein. Wäre meine Schwester nicht ins Team gekommen, hätte ich vielleicht nicht weitergemacht.»
Mit den Junioren statt mit den Männern
Die fehlende Anerkennung des Frauen-Biathlons zeigte sich auch als mehr Frauen ins Team kamen. Gasparin und ihre Teamkolleginnen wurden zu den Junioren geschickt, weil sie zu viele waren, um mit dem Männerteam zu trainieren. «Das hätte das Herrenteam stören können», erzählt die 40-Jährige aus Samedan GR.
Der Durchbruch kam 2014, als Gasparin in Sotschi Silber gewann. «Das war der grösste Meilenstein für den Biathlon als Frauensport.» Erst nach diesem Erfolg wurde ein eigenes Elite-Frauenteam gegründet. Nach Gasparins Weltcup-Sieg wurden die Bedürfnisse der Athletinnen wahrgenommen und respektiert. Darauf ist sie besonders stolz.
Rückkehr nach der Geburt: mehr als ein Comeback
Mit ihrer Silbermedaille in Sotschi 2014 revolutionierte Gasparin den Frauen-Biathlon – doch für sie persönlich liegt der wahre Triumph darin, nur fünf Monate nach der Geburt ihrer zweiten Tochter eindrucksvoll auf Rang 9 an den Weltmeisterschaften zurückzukehren. «Ich wusste, mit 34 habe ich nicht mehr viel Zeit», erklärt die Bündnerin. Andere Frauen im Biathlon haben ihr gezeigt, dass eine schnelle Rückkehr möglich sei – das habe sie inspiriert.
Mit einem Baby zu trainieren, habe enorme Organisation und Disziplin erfordert – Gasparin würde keiner Athletin empfehlen, während der Karriere Kinder zu bekommen. Jedoch ist sie überzeugt, dass die Doppelbelastung mit einem Kind, viele Frauen erfolgreicher machen könnte. «Man investiert so viel Zeit, die man nicht mit seinen Kindern verbringt – das macht man nur, wenn man wirklich erfolgreich sein will», so Gasparin.
Inspiration und Vermächtnis
Heute, mit 40 Jahren, blickt Selina Gasparin auf eine aussergewöhnliche Karriere zurück. Als Pionierin ebnete sie den Weg für den Frauen-Biathlon in der Schweiz, kämpfte gegen Vorurteile und etablierte eine neue Kultur im Sport. «Es fühlt sich gut anzusehen, wie sich der Sport entwickelt hat. Es gibt keine Rückschritte, und das Frauen-Biathlon-Team ist heute eine Selbstverständlichkeit.» Selina Gasparin ist nicht nur die erfolgreichste Schweizer Biathletin, sondern auch ein Vorbild für die nächste Generation.