Catherine Russell sprach vom grossen Grauen in ruhigem Ton. Brutale Bandengewalt, Vergewaltigungen «als Waffe», bittere Armut, Hunger, katastrophale Folgen des Klimawandels: Was die Unicef-Chefin Ende Juni nach ihrem Besuch in Haiti berichtete, waren wahrhaft «Erzählungen wie aus der Vorhölle», so Spiegel .
«Die Sicherheitslage ist inakzeptabel», sagte Russell angesichts der «tödlichen Gewaltspirale» und klagte an: «Es war nie schlimmer als jetzt. Die Welt lässt die Haitianer im Stich!» Doch «inmitten des Horrors», ergänzte die Amerikanerin, «gibt es auch Hoffnung». Und diese ruht auch auf dem Fussball-Nationalteam.
Dumornay vor Debüt «sehr, sehr stolz»
Dieses nimmt erstmals an der WM teil – «verrückt», nennt Jungstar Melchie Dumornay die Premiere angesichts des alles verschlingenden Chaos in der Heimat. «Überhaupt hier zu sein – ich kann es nicht beschreiben, da sind so viele Gefühle», sagt die 19-jährige Stürmerin von Olympique Lyon, der eine Weltkarriere zugetraut wird. «Wir sind sehr, sehr glücklich und stolz.»
Das Land leidet. Wir wollen den Leuten etwas Ablenkung schenken.
Dumornays Doppelpack im Playoff-Final gegen Chile (2:1) brachte die Nummer 53 der Fifa-Rangliste überraschend auf die Weltbühne. Am Samstag wollen die Aussenseiterinnen die Europameisterinnen aus England fordern. «Es geht um mehr als Fussball», sagt Mittelfeldspielerin Danielle Etienne: «Es ist ein Hauch frischer Luft, der dem Land in diesen schweren Zeiten hilft.»
Der Weg an die WM-Endrunde war steinig. Wegen der riesigen Probleme mussten die «Grenadières» in der benachbarten Dominikanischen Republik trainieren und spielen. Zu den politischen und gesellschaftlichen Hindernissen kam ein veritabler Verbandsskandal: Präsident Yves Jean-Bart wurde 2020 wegen Amtsmissbrauchs von der Fifa lebenslang gesperrt.
Ablenkung für ein gebeuteltes Land
Die Spielerinnen sind sich ihrer Rolle als Hoffnungsträgerinnen einer Nation bewusst. «Das Land leidet», sagt Kapitänin Nérilia Mondesir, die wie elf Teamkolleginnen in Frankreich unter Vertrag steht, «wir wollen den Leuten etwas Ablenkung schenken». Dafür soll vor allem Offensivspielerin Dumornay sorgen. «Melchie verschafft uns einen X-Faktor», sagt Coach Nicolas Delépine.
Doch Haiti ist in der Gruppe D mit den weiteren Gegnerinnen China und Dänemark krasser Underdog. Oder, Monsieur Delépine? «Jetzt, da wir uns schon qualifiziert haben», sagt der Franzose und lacht, «wollen meine Schützlinge auch, dass wir die WM gewinnen.»