Gelson Fernandes galt während seiner Aktivkarriere als Wandervogel und Frohnatur. Seit August 2022 ist der 67-fache Schweizer Nationalspieler in der Fifa für die afrikanischen Verbände zuständig. Seine aufgeschlossene Art hat er beibehalten. Die Ernsthaftigkeit, mit welcher er seine Funktion ausübt, bringt der 37-Jährige jedoch klar zum Ausdruck. Ein Gespräch über den aktuellen Afrika-Cup in der Elfenbeinküste und den Zustand des afrikanischen Fussballs.
SRF Sport: Gelson Fernandes, Sie sind am Montag aus Abidjan nach Paris zurückgekehrt und fliegen am Mittwochabend wieder in die Elfenbeinküste. Was sind Ihre Eindrücke?
Gelson Fernandes: Es ist ein sehr gutes Turnier auf gutem Niveau, Emotionen sind dabei. Das ist, was wir uns von einem Turnier erhoffen. Kompliment an den CAF (afrikanischer Kontinentalverband, die Red.) und an die Elfenbeinküste. Man sieht, dass die Verbände gut gearbeitet haben.
Fast alle afrikanischen Fussball-Verbände sind heute konkurrenzfähig.
Es ist ein verrücktes, spektakuläres Turnier. Das beste in der Geschichte des Afrika-Cups?
Das weiss ich nicht. Aber von der emotionalen Perspektive her betrachtet und mit Blick auf das Gezeigte auf dem Platz vielleicht schon. Die Underdogs haben viele Spiele gewonnen, die Plätze und Stadien sind in einem Top-Zustand. Dazu gab es keine Zwischenfälle.
Auf dem Platz ist alles im Rahmen geblieben. Es gab aber auch Bilder von Public Viewings, als Zäune niedergerissen wurden im Freudentaumel ...
Bis jetzt läuft alles gut. Aber klar, die Erwartungen sind gross und der Druck auf die Mannschaft der Elfenbeinküste ist riesig. Man spürt auch die Bedeutung des Afrika-Cups für die Bevölkerung. Das ist ihre Weltmeisterschaft. Die Kraft des Fussballs auf diesem Kontinent ist enorm.
Hilft es dem Turnier, dass sich Gastgeber Elfenbeinküste mehrfach mirakulös gerettet hat?
Der Fussball-Gott ist mit ihnen (lacht). Natürlich ist es für den Enthusiasmus schön, wenn die ausrichtende Mannschaft noch im Wettbewerb verbleibt.
Alle Viertelfinalisten in diesem Turnier haben es vor 2 Jahren nicht unter die letzten Acht geschafft. Spricht das für die Ausgeglichenheit in Afrika?
Ja. Fast alle Verbände sind heute konkurrenzfähig. Alle Nationen bringen einen Staff zusammen und können eine richtige Vorbereitung durchführen. Und sie können antizipieren. Wir hatten mit Guinea ein kleines Problem mit den Prämien, doch das wurde schnell gelöst. Man sieht, dass die Professionalisierung voranschreitet.
Es gab viele Überraschungen, so ist Kap Verde erst im Viertelfinal im Penaltyschiessen gescheitert ...
(unterbricht) ... für mich war das keine Überraschung. Denn wir sind eine Fussball-Nation.
Hat Sie der Exploit Ihres Heimatlandes besonders gefreut?
Natürlich. Der Erfolg ist sehr wichtig, denn Kap Verde ist eine relativ junge Nation mit einer noch eher kleinen Population (rund 500'000 Einwohner, die Red.). Das gibt Hoffnung. Und in Afrika bedeutet Hoffnung viel.
Sie sind seit August 2022 Fifa-Direktor für die afrikanischen Verbände. In welchen Bereichen haben Sie den Hebel angesetzt?
Das betraf Projekte, Infrastruktur, Organisation der Verbände, Finanzierung von Spielen und Camps. Mein Ziel ist es, die Mentalität zu verändern. Und zwar in jedem Bereich. Afrika hat ein riesiges fussballerisches Potenzial. Aber auch alles neben dem Platz muss top sein.
Es gibt das Forward-Programm der Fifa. Haben Sie mehr Geld zur Verfügung als vor 10 Jahren?
Damals gab es 250'000 Dollar pro Jahr für jeden Verband, nun sprechen wir von 1,2 Millionen jährlich plus 3 Millionen für einen Projekt-Zyklus. Wenn ein Verband es gut macht, kommt er mit einer zusätzlichen Million für Transportkosten auf ein 9-Millionen-Package. Das war eine Initiative von Fifa-Präsident Gianni Infantino, die langsam Wirkung zeigt. Die WM 2026 wartet mit einer doppelten Anzahl an afrikanischen Teams auf (9 statt wie bisher 5 Startplätze, die Red.). Es ist also viel möglich.
1990 hat man nach dem Viertelfinal-Vorstoss von Kamerun gesagt: Jetzt kommen die Afrikaner, sie werden bald den Weltmeister stellen. Dann kam lange nicht mehr viel. Zuletzt erreichte Marokko an der WM in Katar den Halbfinal. Wo steht der afrikanische Fussball heute?
Europa hat sich in den 1990er-Jahren eben auch entwickelt. Sie hatten mehr Geld, die Champions League wurde gegründet. Es ist zentral, dass Stabilität in einem Land und auf einem Kontinent herrscht. Wir hatten in Afrika viele Probleme auf Regierungsstufe, was die Entwicklung bremst. Man kann nur auf eine bessere Zukunft hoffen.
Das Gespräch führte Dominik Steinmann.