England ist der Schweizer Viertelfinal-Gegner am nächsten Samstag in Düsseldorf (ab 17:10 Uhr live auf SRF zwei). Auf dem Papier einer der härtesten Brocken mit einer brandgefährlichen Offensive, im laufenden Turnier ein Schwergewicht mit stotterndem Motor, aber stabiler Defensive. Wie gut ist dieses England?
Die Frage ist schwer zu beantworten, zu stark divergieren die nackten Zahlen und die Eindrücke, die die Mannschaft im bisherigen Turnierverlauf und auch in den Monaten und Jahren zuvor hinterlassen hat. Klar ist: Die Schweiz bekommt es im Viertelfinal mit einem Gegner mit ungemein hoher individueller Offensivklasse zu tun, der seine PS bislang aber primär dafür eingesetzt hat, keine Gegentore zu erhalten und Niederlagen zu verhindern.
Gespickt mit Stars, aber lange ohne Titel
In der Theorie ist England die teuerste Mannschaft an dieser EM, gespickt mit Stars wie Harry Kane, Jude Bellingham, Phil Foden und Bukayo Saka – mit so viel Qualität ausgestattet, dass für Namen wie Jack Grealish, Marcus Rashford und Jadon Sancho kein Platz im Kader ist.
Die Resultate der letzten Endrunden versprechen viel, wenngleich der WM-Titel 1966 bis heute die einzige Silberware ist. An der EM 2021 wurde die Mannschaft von Trainer Gareth Southgate erst im Final im Penaltyschiessen von Italien gestoppt. An der WM 2018 in Russland war England im Halbfinal nach langer Führung und phasenweiser Dominanz in der Verlängerung an Kroatien gescheitert, 2022 in Katar im Viertelfinal am späteren Finalisten Frankreich.
Southgate in der Kritik, aber fest im Sattel
Seit bald 8 Jahren ist Southgate Englands Nationaltrainer. Fast durchwegs stand der 53-Jährige, der als Spieler selbst 57-mal für die «Three Lions» aufgelaufen war, aufgrund der unattraktiven, extrem defensiven und vorsichtigen Spielweise in der Kritik. Doch jedes Mal fehlte an den Endrunden unter Southgate gefühlt wenig zum Titel, und mit 2,07 Punkten pro Spiel weist von allen bisherigen englischen Nationaltrainern einzig Fabio Capello (2,19 zwischen 2007 und 2012) einen besseren Punkteschnitt vor als Southgate.
Das Kader ist anderthalb Milliarden Euro wert. Dass sie so spielen, finde ich enttäuschend. Das kann doch nicht der Anspruch sein, bei aller Liebe
Kaum Gegentore, kaum Spektakel
Nur ein Gegentor kassierten die Engländer in den drei Gruppenspielen (dazu eines im Achtelfinal). 4 aus 8 Spielen waren es in der Qualifikation, 3 im ganzen Turnier an der EM 2021, keines bis zum gewonnenen Halbfinal gegen Dänemark (2:1). In 3 von 5 Spielen blieb die Mannschaft an der WM 2022 ohne Gegentor, 4 kassierte sie insgesamt in Katar.
So gesehen ergibt die defensive Spielweise zumindest im Ansatz Sinn. Wären Goalie Jordan Pickford und die im Gegensatz zur Offensive weniger namhafte Verteidigung um John Stones, Manuel Akanjis Teamkollege bei Manchester City, öfter auf sich alleine gestellt, sähen die Zahlen anders aus.
Allerdings geht Southgates Konzept so sehr zu Lasten der Offensive, dass das Zuschauen bisweilen schmerzt und die Kritik selten verstummt. «Das Kader ist anderthalb Milliarden Euro wert. Dass sie so spielen, finde ich enttäuschend. Das kann doch nicht der Anspruch sein, bei aller Liebe», sagte etwa der ZDF-Experte und Mönchengladbach-Spieler Christoph Kramer nach dem 1:0-Sieg der Engländer im Gruppenspiel gegen Serbien.