Die Berge sind da. Wie immer in Davos. Etwas anderes ist neu: Broschüren zur Gleichbehandlung aller Gäste und eine Anlaufstelle, die zum Zug kommt, wenn es zu Missverständnissen oder Konflikten kommt.
In den letzten Jahren war es in Davos immer wieder zu Antisemitismus-Vorwürfen gekommen. Es gab Leserbriefe und andere öffentliche Meinungsäusserungen, die zeigten, dass da etwas brodelte. Da war von liegengelassenem Abfall die Rede, von fehlendem Grüssen und davon, dass jüdische Gäste Plätze im Bergrestaurant belegen würden, ohne zu konsumieren.
Dialog nach Eiszeit
Ein Dialogprojekt, das zwischen Einheimischen und jüdischen Gästen hätte vermitteln sollen, wurde zwischenzeitlich auf Eis gelegt. Das war im Sommer 2023, noch vor dem Schlitten-Plakat, das für internationale Medienberichte sorgte.
Seither hat sich eine Taskforce mit dem ehemaligen Spitzendiplomaten Michael Ambühl der Sache angenommen. Sie hat Hoteliers, Sportshopbesitzer und Bergbahnvertreter an einen Tisch geholt, zusammen mit Vertretern des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes SIG. Das sistierte Dialogprojekt wird nun doch fortgesetzt.
Darum ist Davos ein Magnet für Juden
Die Kommunikationsarbeit geht nicht aus, denn es sind viele jüdisch-orthodoxe Gäste, die es in die Schweizer Berge zieht. Allein nach Davos reisen jeden Sommer 3000 Juden. Sie schätzen die frische Luft und das Bergpanorama, ausserdem gibt es eine Synagoge und Läden mit koscheren Lebensmitteln. Und dann spielt auch noch ein Satz eine Rolle, die der Rabbiner Samuel Hirsch im 19. Jahrhundert in einer Predigt äusserte.
«Wenn ich dereinst vor dem Schöpfer stehe, wird er mich fragen, hast du meine Alpen gesehen?» Dieser Satz sei mittlerweile Teil der orthodoxen Tradition geworden und einer der Gründe, warum Davos ein Magnet für jüdisch-orthodoxe Gäste geworden sei, sagt der Religionswissenschaftler Michael Blume. Sie besichtigen in Davos also quasi einen Teil der Schöpfung.
Stimmen aus Davos
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Bild 1 von 9. Drei Generationen Bursteins beim Picknick im Wald. Bildquelle: RTR.
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Bild 2 von 9. «Wenn acht Touristen nebeneinander durchs hohe Gras trampeln, stört uns das unabhängig von der Herkunft», sagt Cyril Graf, der Präsident des Davoser Bauernvereins. Bildquelle: RTR.
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Bild 3 von 9. «Es ist traurig, wenn wir alle in einen Topf geworfen werden. Wenn ich ein Hinweisschild sehe, dann befolge ich das.» Shuliman Burstein, Feriengast. Bildquelle: RTR.
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Bild 4 von 9. Gastronom Joos Biäsch stört sich an Gästegruppen, die sich in sein Restaurant setzen, nur ein Glas Cola für die ganze Gruppe holen und sich aus dem Rucksack verpflegen. Bildquelle: RTR.
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Bild 5 von 9. «Wir müssen versuchen, in diese Milieus zu kommunizieren: ‹Du bist willkommen. Achte darauf, Frauen mit dem gleichen Respekt zu behandeln wie Männer. Achte darauf, dass auch ein Wirt, der kein koscheres Essen anbieten kann, von seiner Arbeit leben können muss.›» Michael Blume, Religionswissenschaftler. Bildquelle: RTR.
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Bild 6 von 9. «Wenn es in Zürich solch einen Vorfall gibt, ist auch nicht ganz Zürich antisemitisch», sagt Reto Branschi. Er war bis Juli Tourismusdirektor in Davos. Bildquelle: RTR.
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Bild 7 von 9. «Der Klettergurt muss über der Kleidung sichtbar sein. Das führte früher oft zu Diskussionen, jetzt nur noch selten. Wir haben auch Broschüren in hebräischer Sprache gemacht.» Walter Simeon, Seilpark Davos. Bildquelle: RTR.
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Bild 8 von 9. Rafael Mosbacher stellte den Kontakt zwischen dem Davoser Laden und Lieferanten von koscheren Lebensmitteln her. Bildquelle: RTR.
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Bild 9 von 9. «Vor dem Hintergrund geopolitischer Konflikte sind das sehr kleine Probleme. Wenn man hier aber wohnt oder hier Tourist ist, dann ist das – aus dieser Sicht – schwieriger.» Michael Ambühl, ehemaliger Spitzendiplomat. Bildquelle: RTR.
Zwei dieser 3000 Juden, die ihre Sommerferien in Davos verbringen, sind Shuliman und Norman Burstein. Zusammen mit ihrem Sohn und dessen sechs Kinder picknicken sie im Wald, als «RTR»-Reporter sie besuchen.
«Wir halten uns an die Regeln, die es hier gibt. Aber ich sehe Menschen, die aus Israel und von anderen Orten kommen, die genau das machen, was sie wollen. Traurig macht mich, dass wir alle in einen Topf geworfen werden», sagt Shuliman Burstein.
Sabbat in der Ferienwohnung
Die RTR-Reportage «Cuntrasts» zeigt, wie die Bursteins in ihrer Ferienwohnung den Sabbat, den Ruhetag, vorbereiten. Sie ersetzen verschiedene Küchenutensilien der Ferienwohnung durch koschere Geräte und kochen alle Mahlzeiten für die nächsten 24 Stunden. Denn das Einschalten von elektronischen Geräten ist ihnen am Sabbat verboten – überhaupt jegliche Arbeit. Die Familie Burstein hält sich an die 613 religiösen Gebote und Verbote.
Die Tourismusgemeinde hofft derweil, dass die Vermittlungsmassnahmen Früchte tragen. Reto Branschi, bis im Juli 2024 Tourismusdirektor von Davos, sagt: «Davos wurde in die antisemitische Ecke gestellt und das ist nicht in Ordnung.» In Davos sind nun Vermittlerinnen des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes unterwegs. Ihr Motto: Zusammen reden ist der einzige Weg, um gegenseitiges Verständnis zu fördern.