Die britischen Wissenschaftler sind sich bewusst: Ihr Plan ist sehr heikel. Der Forscher Chris Chiu vom Imperial College London sagt: «Wir haben die Vor- und Nachteile über Monate abgewogen. Die Sicherheit der Probanden hat oberste Priorität.»
Probandinnen, die sich freiwillig mit dem Corona-Virus anstecken lassen, müssen bestimmte Kriterien erfüllen. Sie müssen im Alter von 18 bis 30 sein und dürfen keine bekannten Risikofaktoren für einen schweren Corona-Krankheitsverlauf wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Probleme aufweisen.
Ein kalkuliertes Risiko?
Man gehe ein sehr kalkuliertes Risiko ein, sagt der ebenfalls beteiligte Forscher Robert Reed von der University of Southampton. Der mögliche Gewinn sei gross: «Mit diesen Tests können wir verschiedene Corona-Impfstoffe direkt miteinander vergleichen.» Das sei mit herkömmlichen Studien viel schwieriger.
Dadurch verspricht sich Reed ein höheres Tempo bei der Impfstoff-Entwicklung. Zusätzlich ermöglichten die Ansteckungsstudien wichtige Erkenntnisse darüber, wie das Immunsystem auf das Corona-Virus reagiere.
Das britische Team hat viel Erfahrung damit, Freiwillige mit Viren anzustecken, um mehr über eine Krankheit zu erfahren. Sie haben dies bereits mit Erkältungs- und Grippeviren gemacht.
Und es gibt weltweit einige Menschen, die an solchen Ansteckungsstudien mit Corona-Viren teilnehmen möchten. Das haben sie auf speziellen Internetplattformen kundgetan.
«Ethisch extrem kritisch»
Trotzdem sind viele Forscher gegen solche Versuche. Zum Beispiel der Epidemiologe Marcel Tanner, Mitglied der Corona-Taskforce des Bundes.
Er selbst hat zwar Studien durchgeführt, bei denen Freiwillige mit Malaria angesteckt wurden. Gegen Malaria gebe es aber hochwirksame Medikamente, betont Tanner: «Bei Corona ist das nicht der Fall. Deshalb ist das ethisch extrem kritisch.» Er würde solche Studien nicht durchführen, obwohl es dringend Medikamente und Impfstoffe gegen das Coronavirus brauche.
Selbst an gesunden, jungen Probanden seien Menschenversuche zu gewagt. Denn auch sie könnten schwer erkranken, sagt Tanner: «Das kann man nie ausschliessen. Das sind die seltenen Nebenwirkungen, die es geben kann.»
Überwiegen die Risiken oder die Chancen?
Man müsse bei Ansteckungsversuchen mit Menschen die Risiken und Chancen genau abwägen. Im Fall von Corona sei nicht nur das Risiko zu gross, auch die Chancen könnten kleiner sein, als die britischen Forscher hoffen, sagt Marcel Tanner.
Benötigt werden vor allem Erkenntnisse darüber, wie Risikogruppen auf Impfstoffe reagieren. Darum liefere eine Ansteckungsstudie mit jungen Menschen nur begrenzt nützliche Daten. Seine Erfahrungen mit Menschenversuchen bei Malaria zeigten zudem, dass solche Tests nicht schnell seien.
Es ist also fraglich, ob die Menschenversuche bei Corona die Impfstoff-Suche wirklich verkürzen können. Noch müssen Behörden und Ethik-Komitees das gewagte Vorhaben der britischen Forscher bewilligen. Man darf gespannt sein, was diese höher gewichten: die Chancen oder die Risiken.