Als die Schweiz begann, gegen Covid-19 zu impfen: Wie genau ging das, wie transparent war die Impfkampagne des Bundes?
Im Januar 2021 herrschte vor allem Mangel, erinnert sich Christoph Berger, Präsident der Eidgenössischen Kommission für Impffragen EKIF: «Am Anfang hatten wir sehr wenig Impfstoff, aber ganz viele Menschen, die sich impfen lassen wollten. Es gab Schlangen vor den Impfzentren.»
Ziel der Impfstrategie: Todesfälle begrenzen
Die EKIF verteilte die Impfdosen nach absteigendem Krankheitsrisiko: Zuerst kamen die Älteren und vulnerablen Personen dran. Später alle, die wollten. Das Ziel der Impfstrategie der EKIF sei es gewesen, schwere Krankheitsverläufe und Todesfälle möglichst zu begrenzen, sagt Berger.
Es gab nie einen grossen Druck, dass sich jeder und jede impfen lassen sollte, zumindest nicht aus Sicht der EKIF.
Die zweite Priorität war, die Gesundheitsversorgung in den Spitälern aufrechtzuerhalten. «Aber es gab nie einen grossen Druck, dass sich jeder und jede impfen lassen sollte, zumindest nicht aus Sicht der EKIF.»
Der Infektiologe Jan Fehr von der Universität Zürich – selber kein Mitglied der Impfkommission – findet, die EKIF habe es gut gemacht. So habe die Kommission von Anfang an auch auf das Risiko von Nebenwirkungen hingewiesen, sie habe sich gar vorwerfen lassen müssen, die Impfung zu genau zu prüfen.
«Die EKIF hat deshalb so genau hingeschaut, weil ihr bewusst war, dass mit dem breiten Einsatz des Impfstoffs in der Bevölkerung mit der Zeit seltenere Nebenwirkungen zutage treten würden.» Solche Nebenwirkungen müsse man kennen und damit umgehen können.
Nebenwirkungen hätten deutlicher kommuniziert werden sollen
In der Info-Kampagne des Bundesamts für Gesundheit (BAG) allerdings war vom Risiko möglicher Nebenwirkungen kaum die Rede. Das BAG appellierte vielmehr an die Solidarität der Bevölkerung. «Gemeinsam fürs Impfen» hiess ein Slogan. Die Impfung wurde mantramässig als «wirksam und sicher» angepriesen, von den Vertretern des BAG wie auch von Gesundheitsminister Alain Berset.
«In der Hitze des Gefechts» habe man einfache und klare Botschaften gebraucht, analysiert Infektiologe Fehr rückblickend: «Da ist schon die eine oder andere Gelegenheit nicht genutzt worden, in der man noch deutlicher auf Nebenwirkungen hätte hinweisen können und diese auch diskutieren müssen.»
Mit solchen verpassten Chancen geht Fehrs Kollege Philip Tarr vom Kantonsspital Baselland hart ins Gericht: Das BAG habe die Impfung nur positiv dargestellt – zu positiv, kritisiert der Infektiologe. Kritische Fragen oder Skepsis hätten im aufgeheizten Klima kaum Platz gehabt und seien schnell in die Ecke der fundamentalen Impfgegner abgedrängt worden. «Dabei hatten sehr viele Leute berechtigte Zweifel und Sorgen, ob sie sich impfen lassen sollten.»
Auch den solidarischen Appell hält Tarr rückblickend für fragwürdig. Denn bereits bei der Delta-Variante, die im Sommer 21 auftauchte, zeigte sich: Auch Geimpfte können andere anstecken. Fast gleichzeitig, Mitte September 2021, führte die Schweiz das Covid-Zertifikat ein. Es wurde verlangt im Innern von Restaurants, von Kultur- und Freizeiteinrichtungen sowie an Veranstaltungen in Innenräumen.
Das BAG propagierte es als «Weg aus der Krise». Gesundheitsminister Alain Berset sagte in der Tagesschau Ende Oktober, zwei Wochen vor der Abstimmung zum Covid-Gesetz: «Mit dem Zertifikat kann man zeigen, dass man nicht ansteckend ist.» Ein Irrtum, wie man heute weiss.
Wie beurteilt das BAG selbst die Impfkampagne im Rückblick? Auf Anfrage schreibt das Bundesamt: «Ziel der Informationskampagne war es, der Bevölkerung verständliche Informationen anzubieten, damit sie für sich entscheiden konnten, ob sie sich impfen lassen wollten oder nicht. Dies im Sinne des Prinzips der informierten Einwilligung (informed consent) in der öffentlichen Gesundheit.»
Fehleinschätzungen offen kommunizieren
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Virus, zur Erkrankung, zur Impfung und allfälligen Nebenwirkungen «haben sich während der Pandemie laufend entwickelt». Das BAG habe die entsprechenden Informationen publiziert und in die Bevölkerungsinformation aufgenommen, «das heisst in die Informationskampagne, Merkblätter, Aufklärungsbogen und FAQ zur Covid-19-Impfung». In diesen Informationsmaterialien sei detaillierter auf Fragen der Impfung und «allfälliger Nebenwirkungen» eingegangen worden.
Behörden und auch wir Wissenschaftler müssen die Bevölkerung besser informieren.
Auf die Frage von SRF, ob das BAG in seiner Kommunikation der Impfkampagne rückblickend etwas anders machen würde, schreibt das Bundesamt, sie hätten in Bezug auf die Kommunikationsaktivitäten für die Bevölkerung folgende Punkte als «essenziell» identifiziert: «Kontinuierlich kommunizieren, auch wenn es phasenweise wenig zu berichten gibt.» Oder: «Den Mut haben vorläufige Aussagen zu wagen, und die Bereitschaft, Fehleinschätzungen offen zu kommunizieren.»
Jan Fehr ist der Meinung, in einer nächsten Pandemie dürften sich Informationskampagnen nicht (mehr) auf simple, vereinfachende Botschaften und Slogans beschränken. «Behörden und auch wir Wissenschaftler müssen die Bevölkerung besser informieren im Sinne, dass wir ihr auch komplexere Inhalte zumuten können», sagt der Infektiologe der Uni Zürich.
Auch das BAG räumt ein: Das «Warum» einer bestimmten Empfehlung oder Weisung müsse künftig besser erklärt werden.