Stress beschleunigt die Atmung. Unser Körper denkt, wir müssen kämpfen oder fliehen. «Über die letzten Jahrzehnte atmen wir immer schneller. Wenn wir ständig schnell atmen, bleiben wir in diesem hektischen Gefühl drin und kommen nicht zur Ruhe», sagt Elisabeth Balint, leitende Ärztin der Privatklinik Meiringen.
Der Schlüssel zu mehr Ruhe ist die Atmung selbst – doch wie gelingt das? Damit wir sie gezielt einsetzen können, braucht es zuerst ein Verständnis dafür, wie die Atmung mit dem Nervensystem zusammenhängt. Elisabeth Balint sagt: «Um die Ruhephasen zu fördern, müssen wir dem Parasympathikus mehr Raum geben». Der Parasympathikus ist der für Erholung zuständige Teil des vegetativen Nervensystems.
Eine langsame Atmung bis tief in den Bauch aktiviert den Parasympathikus. Optimalerweise ist die Ausatmung dabei länger als die Einatmung, so wird die Stimulation verlängert. Mehr Ruhe entsteht, Stress wird reduziert. Zugleich verbessert sich die Sauerstoffversorgung der Zellen.
Regelmässiges Üben zahlt sich aus. Sogar die Herzfrequenzvariabilität kann von einer tieferen Atemfrequenz profitieren. Diese zeigt, wie flexibel unser Herz schlagen kann. Je höher die Variabilität, desto anpassungsfähiger sind wir an Stresssituationen und desto schneller erholen wir uns davon.
Die Vorzüge der verlangsamten Atmung werden im medizinischen Bereich genutzt. Die Psychosomatikerin Elisabeth Balint integriert deren beruhigende Wirkung zum Beispiel in der Therapie von Angstzuständen. Auch bei Bluthochdruck oder zur Regulierung der Immunantwort wird langsames Atmen erfolgreich eingesetzt.
Pausen trainieren und die Nase nutzen
Es lohnt sich, auch der Zeit zwischen zwei Atemzügen mehr Beachtung zu schenken. Mit ihren Patientinnen und Patienten übt die Atemtherapeutin Brigitte Ruff, Atempausen zu verlängern. «Wenn ich nach einem Atemzug nicht sofort wieder einatme, generiere ich mehr Ruhe und bringe mein Nervensystem in einen gesunden Zustand», so Ruff.
Für eine gesunde Atmung ist nicht zuletzt die Nase zentral. Atemtherapeutin Ruff ist eine Verfechterin der Nasenatmung: «Der Mund ist zum Essen und Trinken da, nicht zum Atmen. Nur mit der Nase können wir das ganze Atemvolumen nutzen.» Die Nase filtert ausserdem Staub- und Schmutzpartikel aus der Luft heraus. Damit kommt ihr eine wichtige Schutzfunktion für die Lunge zu.
Hauptsache dranbleiben
Welche Atemübung wir schlussendlich machen, spiele keine so grosse Rolle, meint Elisabeth Balint. «Viel wichtiger ist, dass ich überhaupt mit der Atmung arbeite und eine für mich passende Technik finde, an welcher ich dranbleibe.» Um Übungen nachhaltig in den Alltag zu integrieren, helfen Ankerpunkte. «Zum Beispiel kann ich jeweils, wenn ich die Farbe Rot sehe oder auf den Bus warte, eine Atemübung machen», empfiehlt Balint.
Mit der Atmung haben wir ein Tool zur Hand, das immer und überall dabei ist. Unsere lebenswichtige Körperfunktion können wir willentlich steuern – das zu nutzen, lohnt sich allemal.