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Atemübungen für den Alltag Besser atmen, besser leben – so geht’s

Die Atmung hat einen erheblichen Einfluss auf unser Wohlbefinden, doch ihr Potenzial wird selten genutzt. Wie gesundes Atmen funktioniert und wie es sich einfach in den Alltag integrieren lässt.

Stress beschleunigt die Atmung. Unser Körper denkt, wir müssen kämpfen oder fliehen. «Über die letzten Jahrzehnte atmen wir immer schneller. Wenn wir ständig schnell atmen, bleiben wir in diesem hektischen Gefühl drin und kommen nicht zur Ruhe», sagt Elisabeth Balint, leitende Ärztin der Privatklinik Meiringen.

Der Schlüssel zu mehr Ruhe ist die Atmung selbst – doch wie gelingt das? Damit wir sie gezielt einsetzen können, braucht es zuerst ein Verständnis dafür, wie die Atmung mit dem Nervensystem zusammenhängt. Elisabeth Balint sagt: «Um die Ruhephasen zu fördern, müssen wir dem Parasympathikus mehr Raum geben».  Der Parasympathikus ist der für Erholung zuständige Teil des vegetativen Nervensystems.

Eine langsame Atmung bis tief in den Bauch aktiviert den Parasympathikus. Optimalerweise ist die Ausatmung dabei länger als die Einatmung, so wird die Stimulation verlängert. Mehr Ruhe entsteht, Stress wird reduziert. Zugleich verbessert sich die Sauerstoffversorgung der Zellen.

Einfache Atemübungen für den Alltag

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  • Viele kleine Atempausen wirken beruhigend bei Angst und Panik und entspannen die Muskeln, sagt Atemexpertin Brigitte Ruff. So geht’s: Sanft ausatmen durch die Nase, anschliessend für zwei bis fünf Sekunden den Atem anhalten. Nun vier Atemzüge ruhig und normal durch die Nase weiter atmen. Drei bis fünf Minuten lang wiederholen.
  • Langsame Taktatmung: Gegen Stress, für mehr Ruhe. So geht’s: Beim Einatmen bis vier zählen, beim Ausatmen bis sechs (oder sieben) zählen und das Ganze elf Minuten lang. Hierfür sind Apps hilfreich, wie zum Beispiel Breath Ball .
  • 4-7-8: Entspannt und hilft beim Einschlafen. So geht’s: Vier Sekunden durch die Nase einatmen, sieben Sekunden die Luft anhalten, acht Sekunden durch den Mund ausatmen. Viermal durchführen, morgens und abends. Nach sechs Wochen tritt der volle Effekt ein.

Regelmässiges Üben zahlt sich aus. Sogar die Herzfrequenzvariabilität kann von einer tieferen Atemfrequenz profitieren. Diese zeigt, wie flexibel unser Herz schlagen kann. Je höher die Variabilität, desto anpassungsfähiger sind wir an Stresssituationen und desto schneller erholen wir uns davon.

Die Vorzüge der verlangsamten Atmung werden im medizinischen Bereich genutzt. Die Psychosomatikerin Elisabeth Balint integriert deren beruhigende Wirkung zum Beispiel in der Therapie von Angstzuständen. Auch bei Bluthochdruck oder zur Regulierung der Immunantwort wird langsames Atmen erfolgreich eingesetzt.

Schnelles Atmen ist nicht zwingend ungesund

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Wenn es mit hyperventilierenden Atemübungen gezielt eingesetzt wird, kann schnelles Atmen die Stresstoleranz erhöhen und das Immunsystem stärken.

Solche Atemübungen sollten immer an einem sicheren Ort und liegend ausgeübt werden. Denn bei Hyperventilation verändert sich der Säure-Basen-Haushalt im Körper, was kribbelnde Finger, Muskelkrämpfe und Schwindelgefühle verursachen kann.

Personen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen sollten im Vorfeld eine Fachperson konsultieren.

Pausen trainieren und die Nase nutzen

Es lohnt sich, auch der Zeit zwischen zwei Atemzügen mehr Beachtung zu schenken. Mit ihren Patientinnen und Patienten übt die Atemtherapeutin Brigitte Ruff, Atempausen zu verlängern. «Wenn ich nach einem Atemzug nicht sofort wieder einatme, generiere ich mehr Ruhe und bringe mein Nervensystem in einen gesunden Zustand», so Ruff.  

Für eine gesunde Atmung ist nicht zuletzt die Nase zentral. Atemtherapeutin Ruff ist eine Verfechterin der Nasenatmung: «Der Mund ist zum Essen und Trinken da, nicht zum Atmen. Nur mit der Nase können wir das ganze Atemvolumen nutzen.» Die Nase filtert ausserdem Staub- und Schmutzpartikel aus der Luft heraus. Damit kommt ihr eine wichtige Schutzfunktion für die Lunge zu.

Pascale Menzis Fazit nach einem Monat bewusster Atmung

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Pascale Menzi atmet mit geschlossenen Augen
Legende: srf

«Puls»-Moderatorin Pascale Menzi hat während vier Wochen zwei unterschiedliche Atemtechniken ausprobiert. Das nimmt sie aus ihrem Atemexperiment mit:

«Das langsame, tiefe Atmen hilft mir, in stressigen Zeiten ruhiger zu werden und mich zu zentrieren. Es fühlt sich an wie ein Anker: Wenn der Kopf voll ist, finde ich durch das bewusste Ein- und Ausatmen zur Ruhe zurück. Eine Art Meditation, die auch Klarheit gibt.

Ganz anders die Wim-Hof-Technik, die ich gelernt habe: die intensiven Atemzüge lassen meinen Körper kribbeln, es fühlt sich an, als ob ich in eine andere Sphäre eintauche. Das Hyperventilieren ist nicht nur angenehm. Aber ich fühlte mich danach wach, glücklich und gestärkt. Es ist, als ob der Körper lernt, mit Stress umzugehen.

Meine Entdeckung: Atemtechniken sind ein Schlüssel zu innerer Ruhe und Stärke.»

Hauptsache dranbleiben

Welche Atemübung wir schlussendlich machen, spiele keine so grosse Rolle, meint Elisabeth Balint. «Viel wichtiger ist, dass ich überhaupt mit der Atmung arbeite und eine für mich passende Technik finde, an welcher ich dranbleibe.» Um Übungen nachhaltig in den Alltag zu integrieren, helfen Ankerpunkte. «Zum Beispiel kann ich jeweils, wenn ich die Farbe Rot sehe oder auf den Bus warte, eine Atemübung machen», empfiehlt Balint.

Mit der Atmung haben wir ein Tool zur Hand, das immer und überall dabei ist. Unsere lebenswichtige Körperfunktion können wir willentlich steuern – das zu nutzen, lohnt sich allemal.

Puls, 11.11.2024, 21:10 Uhr

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