Sind Sie derzeit beinahe täglich im Gym, weil der Sommer naht? Oder haben Sie einen Marathon geplant und hoffen darauf, mit mehr und mehr Läufen ihre Leistung ins Unermessliche zu treiben? Dann jetzt bitte eine kurze Pause einlegen und weiterlesen. Denn die Zeit zwischen Trainingseinheiten – die Regeneration – ist mindestens genauso wichtig.
Im Profisport längst als Teil des Erfolgskonzepts erkannt, wird sie von Hobbysportlerinnen oft vernachlässigt. Doch welche Hebel können über die richtige Erholung, die Ernährung und andere Massnahmen in Bewegung gesetzt werden?
Um das genauer zu verstehen, widmen wir uns heute Aline (32) und ihrem Vater Gieri (61) aus Chur. Sie machen – stellvertretend für viele Hobbysportlerinnen – ein Experiment. Die beiden sind ambitioniert, das zeigen ihre sportlichen Ziele fürs kommende Jahr: Aline möchte im März 2025 den Engadiner Skimarathon bewältigen. Gieri plant, im Sommer mit dem Rennrad über zwei Pässe von Chur nach Meran zu fahren. Beide werden dafür wohl an ihre Leistungsgrenze gehen.
Der Ort des Experiments: Das OYM in Cham – ein hochmodernes Zentrum für Spitzensport, in dem Sportlerinnen aus zwölf verschiedenen Disziplinen unter einem Dach trainieren. OYM steht für «on your marks», was so viel wie «Auf den Spuren bedeutet» – und für die Gründer Programm ist: Es wird Wert auf die Integration wissenschaftlicher Erkenntnisse rund um Training und Ernährung gelegt.
Welchen Einfluss hat die Ernährung?
Los gehts: Zum Start absolvieren Aline und Gieri dort ein hochintensives Intervalltraining (HIIT). Die beiden müssen ins sogenannte 4x4 HIIT auf dem Velo: viermal hochintensive Phase – also treten, was das Zeug hält – plus drei Minuten moderatere Phasen dazwischen. Die hochintensiven Phasen am sportlichen Limit machen HIIT zu einem sehr effektiven Training, weil viel Leistung in relativ kurzer Zeit erbracht wird. Und dieses Auspowern hat einen Zweck: Aline und Gieri werden 12 Stunden später einen Leistungstest machen müssen, wo gemessen wird: wie gut konnten sie sich in der Zwischenzeit erholen.
Der Test wird nach einer Woche erneut durchgeführt. Mit dem Unterschied, dass sie sich 24 Stunden vor dem HIIT sowie nach dem HIIT bis zum Leistungstest am darauffolgenden Tag anders ernähren sollen. Welchen Einfluss hat die Ernährung auf Alines und Gieris Fähigkeit, sich zu erholen?
Cordon bleu – oder doch lieber Reis?
«Die richtige Ernährung vor und nach dem Training ist entscheidend für die sportliche Leistung», sagt Joëlle Flück. Sie ist Ernährungsexpertin am OYM, begleitet das Experiment – und bestimmt, was Aline und Gieri währenddessen zu sich nehmen.
So kann zum Beispiel ein schwer verdauliches Essen mit vielen Fetten (ein Fondue, Raclette oder Cordon bleu) nach einem intensiven Training die Regeneration verlangsamen. Eine ausgewogene Mahlzeit mit vielen komplexen Kohlenhydraten (wie Kartoffeln oder Reis) dagegen fördert die Erholung.
Und genau das testen Aline und Gieri. Beim ersten Durchgang gibt es Cordon bleu, dazu Wein. Es überrascht kaum: Die vielen Transfette auf dem Teller wirken wie eine Handbremse auf den Regenerationsprozess, gepaart mit dem Alkohol, der den Schlaf negativ beeinflussen kann, ist das alles andere als optimal für den ersten Leistungstest.
Beim zweiten Durchgang gibt es dafür «Recovery Kost» (einen Teller gut gefüllt mit Reis, gedämpftem Gemüse und gebratenem Lachs beziehungsweise Poulet) – das Timing und die Komponenten der Mahlzeiten sind optimal abgestimmt, damit Aline und Gieri möglichst schnell wieder maximal sportlich leistungsfähig sind. Werden sie sich besser erholen und entsprechend sportlich besser performen beim zweiten Durchgang?
Die Wichtigkeit der Regeneration
Aber warum ist Regeneration überhaupt so wichtig? Beim Sport setzen wir einen Trainingsreiz. Damit dieser Reiz überhaupt verarbeitet werden kann, sprich, unsere Muskeln adaptieren können und stärker werden, braucht es die Phase der Erholung. Kleine Risse in den Muskelfasern, die während sportlicher Belastung entstehen und zu Muskelwachstum führen, werden nämlich erst in der Erholungsphase repariert. Vereinfacht gesagt: Die Muskeln wachsen nicht während des Trainings, sondern danach.
Grundsätzlich gilt: Je intensiver das Training und je kürzer die Abstände dazwischen, desto wichtiger wird die Regeneration. Nach dem Sport direkt auf die Couch zu liegen, reicht aber nicht. Bei der Erholung spielen mehrere Faktoren eine Rolle – Schlaf ist einer davon.
Nebst einem guten Schlafrhythmus bietet die Ernährung den grössten Hebel, um die Regeneration zu optimieren, so Joëlle Flück: «Genügend Flüssigkeitszufuhr und die richtigen Nährstoffe in der richtigen Menge und Qualität zum richtigen Zeitpunkt einnehmen kann helfen. Ausserdem gehört auch die mentale Regeneration dazu.»
Doch nicht nur zur Optimierung der sportlichen Leistung ist die richtige Regeneration wichtig. Fehlende Regeneration birgt ernst zu nehmende gesundheitliche Risiken. Denn fehlt es an ihr, kann es zu Übertraining führen, was wiederum das Risiko von Verletzungen erhöht. Ohne ausreichende Erholung kann es sogar zu Muskelabbau und einer verminderten Leistungsfähigkeit kommen.
Durchgang zwei: Alles optimiert zur grossen Auswertung
Acht Tage lang befolgen Aline und Gieri die Ernährungstipps von Joëlle Flück, abgestimmt auf ihre sportlichen Aktivitäten: Essen nach dem drei-Teller-Modell. Dann absolvieren sie erneut ein Intervalltraining sowie den zweiten Leistungstest 12 Stunden später. Dabei werden ihre Spitzenleistungen (die Kraft, die sie maximal auf die Pedale bringen) und ihre Ausdauer gemessen. Ausserdem wird der Laktatwert im Blut bestimmt, der Aufschluss darüber gibt, wie nahe sie sich im Leistungstest an ihr sportliches Maximum pushen konnten.
Der Vergleich der Durchgänge lässt das Vater-Tochter-Duo nicht schlecht staunen: Beim zweiten Leistungstest zeigt sich, dass sowohl Gieri als auch Aline ihre sportliche Leistung verbessern konnten. Aline steigert sowohl ihre Spitzenleistung als auch ihre Ausdauer; Gieri zeigt eine deutliche Verbesserung beim gemessenen Laktat im Blut. Die beiden konnten sich beim zweiten Leistungstest also mehr an ihr sportliches Maximum pushen.
Joëlle Flück wundert das nicht: «Aus meiner Sicht haben wir das der optimierten Ernährung zu verdanken.» Nicht nur während des Experiments: «Besonders das Essen, in den letzten 24 Stunden vor dem ersten Training, könnte entscheidend gewesen sein. Alines bessere Werte hängen wohl auch mit dem deutlich verbesserten Schlaf beim zweiten Durchgang zusammen.»
Trotz des Erfolges macht die Expertin klar: Das Experiment ist in erster Linie ein Selbstversuch, die Resultate lassen sich nicht wissenschaftlich verallgemeinern. Dennoch nehmen Vater und Tochter aus ihrem Versuch etwas für sich mit: «Ich möchte mein Training bewusster gestalten und Spitzen wie beim Intervalltraining einbauen. Dabei möchte ich auch der Erholung und Regeneration mehr Beachtung schenken. Die Vorbereitung auf die Leistung und die Nachbereitung sind wichtig.»
Take-Aways für Sportlerinnen?
Die Regeneration nach sportlicher Aktivität ist ein komplexer Prozess, der für die Leistungsfähigkeit und Gesundheit von Sportlern von entscheidender Bedeutung ist. Wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass eine ausgewogene Balance zwischen Belastung und Erholung notwendig ist, um Übertraining, Verletzungen und Leistungseinbussen zu vermeiden.
Nebst dem, dass der Körper sich erholen muss, um stärker zu werden, können Sportlerinnen sicherstellen, dass Energiespeicher stets gut wieder aufgefüllt werden – die Ernährung ist deshalb ein wichtiger Aspekt der gezielten Regeneration.