Ohne Medikamententests keine Zulassung für den Einsatz beim Patienten: Vor dieser Herausforderung stehen alle Pharmafirmen – selbst dann, wenn es sich um Generika, also Nachahmerprodukte handelt, die auf den Markt kommen dürfen, sobald ein Patent für ein Medikament abgelaufen ist und es sozusagen «frei» wird für den Markt. Immer öfter leben die Testpersonen für Medikamententests in Entwicklungs- und Schwellenländern – Indien ist ein solches.
Dort sorgte der Fall der Firma GVK Bio für einen Eklat: Nachprüfungen von europäischen Behörden in Indien brachten Fälschungen bei Tests mit 700 Generika ans Tageslicht. All diese Medikamente sollen nun in Europa nicht mehr verkauft werden, so die Empfehlung der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA an die Europäische Kommission. Auch zwei Generika-Firmen mit Niederlassung in der Schweiz sind vom Zulassungsstopp betroffen, die Medikamente waren jedoch nur im Ausland erhältlich.
Laxer Umgang mit der Gesundheit der Testpersonen
Ein Skandal solcher Grössenordnung ist neu. Die Gesundheit europäischer Patienten ist dabei weniger das Thema, vielmehr geht es darum, wie mit den Testpersonen umgegangen wird, denn die indische Firma schummelte bei der Schlussuntersuchung, also dort, wo es um die Gesundheit der Versuchspersonen selber ging: Die vorgeblich pflichtgemäss erhobenen EKG-Daten stammten von einem einzigen Patienten und wurden einfach auf die anderen übertragen.
Das Schluss-EKG ist zwar für die Wirksamkeitstests nicht massgeblich, gehört aber zu einer umfassenden abschliessenden Gesundheitskontrolle der Testpersonen dazu.
Der Fall «GVK Bio» ist möglicherweise nur die Spitze des Eisbergs. Denn nur rund jede 200. Studie, die zur Zulassung eingereicht wird, wird von europäischen Behörden vor Ort als unabhängige Instanz inspiziert. In den meisten Fällen obliegt die Kontrolle jenen Firmen, welche die Studien in Auftrag gegeben haben.
Es stellt sich deshalb die Frage, wie vertrauenswürdig Studien aus Schwellenländern sind – und wie ethisch es ist, Studien in arme Länder zu verlegen, wo sich die Menschen die Medikamente, die an ihnen getestet werden, später möglichweise nie werden leisten können.
Test-Boom in Indien, Russland und der Ukraine
Zwar werden die meisten Medikamenten-Studien, die für die Zulassung in Europa eine Rolle spielen, noch immer in Europa und Nordamerika durchgeführt. Drei Viertel der Testpersonen leben im reichen Norden. Doch in einigen Schwellenländern steigen die Zahlen massiv an: 2005 nahmen in Indien gerade einmal 86 Patienten an klinischen Studien teil, die für eine Marktzulassung in Europa wesentlich waren. 2011 waren es bereits über 4000. Andere Boom-Länder sind Russland oder die Ukraine. Auch dort stellen sich inzwischen mehrere Tausend Patienten für klinische Studien zur Verfügung.
Die Pharmaindustrie lässt gerne in Schwellenländern testen, wo sich für sie ein interessanter Markt auftut. Denn durch den steigenden Wohlstand gleichen sich die dortigen Krankheiten den unsrigen an: Diabetes und Bluthochdruck sind in Ländern wie Indien auf dem Vormarsch. Es ist ein Markt, der im Gegensatz zu den gesättigten Märkten in Europa und den USA noch Wachstum verspricht.
Leere Hände nach Studienende
Doch: In vielen dieser Länder ist der Wohlstand ungleich verteilt. Die zentrale Frage lautet daher: Wer stellt sich für die Tests dort zu Verfügung – und wer erhält die Medikamente dann tatsächlich, wenn die Studie vorbei ist und das Medikament auf den Markt kommt?
Oft stammen die Probanden aus den ärmsten Schichten, die später kaum Zugang zu neuen, teuren Therapien haben, weil keine Krankenkassen existieren und die Patienten schlicht zu arm sind, um sich die teuren Medikamente später kaufen zu können. Für die Ärmsten ist eine klinische Studie oft der einzige Weg, überhaupt zu einer medizinischen Behandlung zu kommen. Das Ende einer Studie bedeutet für sie dann oft das Ende der Behandlung.
Die Pharmafirmen müssten mehr Verantwortung übernehmen, fordert deshalb Patrick Durisch von der Nichtregierungs-Organisation Erklärung von Bern, der 2012 und 2013 umfangreiche Recherchen in vier Schwellenländern zum Thema durchführen liess. Die Firmen sollten die Weiterbehandlung von Versuchspersonen garantieren.
In eine ähnliche Richtung zielen die Vorgaben der Helsinki-Deklaration, dem Ethikkodex des Weltärztebundes: Forschung dürfe nur dort geschehen, wo die Bevölkerung von den Resultaten profitieren könne.
Ethikkodex in Pharmafirmen
Einige Pharmafirmen haben diese Vorgaben in ihre internen Leitlinien aufgenommen. Etwa der Basler Konzern Roche. So heisst es in den entsprechenden Firmen-Dokumenten für Tests in Schwellen- und Entwicklungsländern: Wer an einer schweren Krankheit leide wie HIV/Aids oder Krebs und sich die Behandlung finanziell nicht leisten könne, erhalte nach Abschluss der Studie das «Roche»-Mittel umsonst.
Eine Anfrage bei dem Basler Konzern ergab allerdings, dass solche Fälle bisher die grosse Ausnahme sind: Nur gerade acht Patienten in Brasilien profitieren zurzeit von Gratis-Medikamenten. Sie leiden an rheumatoider Arthritis.
Diese geringe Zahl begründet Roche damit, dass die interne Richtlinie erst 2013 eingeführt worden sei. Den Beweis, dass sie ihre Testpersonen nach Studienende nicht im Stich lassen, bleiben Roche – und die allermeisten Pharmafirmen – bislang noch schuldig.