Epilepsie ist häufig, in der Schweiz leben rund 80'000 Menschen mit der Erkrankung. Gegen die Anfälle gibt es Medikamente – doch die wirken nicht bei allen, sagt Lukas Imbach, medizinischer Direktor am schweizerischen Epilepsie-Zentrum an der Klinik Lengg: «Ein Drittel der Patientinnen und Patienten, die von Epilepsie betroffen sind, kann nicht hinreichend gut mit Medikamenten behandelt werden.»
Hilfe dank Operation
Solchen Patienten kann zum Beispiel ein hirnchirurgischer Eingriff helfen. Das Ziel ist, den sogenannten epileptogenen Herd zu entfernen, also jene Stelle des Gehirns, von der epileptische Anfälle ausgehen. Nur: Wo genau ist diese Stelle? Oder sind es mehrere? Das herauszufinden sei sehr komplex, sagt Lukas Imbach. Aktuell werden dazu verschiedenste Quellen herangezogen. Dazu zählen unter anderem hochauflösende MRIs oder Aufzeichnungen der Hirnströme während eines Anfalls.
Allerdings ist die Aussagekraft solcher Daten begrenzt. Studien zeigen: Nur etwa 60 Prozent der Patienten, denen in heilender Absicht Hirngewebe entfernt wird, sind nachher anfallsfrei. Hirnareale, die eigentlich epileptogen sind, werden also mit den gängigen Messmethoden häufig nicht erkannt.
Personalisiertes Hirnmodell als Lösung
Künftig könnte sich das ändern. Das Schlüsselwort heisst: personalisierte Hirnmodelle. Sie versprechen zusätzliche Informationen, um betroffene Hirnregionen bei Patientinnen genauer bestimmen zu können.
Besonders erfolgreich auf diesem Gebiet ist eine Gruppe um Viktor Jirsa von der Université d'Aix-Marseille in Frankreich. Der Physiker und Neurowissenschaftler hat im Rahmen des Human Brain Projects einen sogenannten digitalen Hirnzwilling entwickelt, eine «digitale, das heisst auf dem Computer dargestellte mathematische Repräsentation eines individuellen Gehirns», erklärt Jirsa.
Mit Hilfe von Algorithmen könne man virtuell abbilden, wie das Gehirn einer spezifischen Person arbeite und wie es verknüpft sei, sagt Viktor Jirsa. Damit lasse sich simulieren, wie ein epileptischer Anfall ablaufe. Einen solchen könne man sich vorstellen als neuroelektrischen Sturm, der irgendwo beginne und sich ausbreite, dabei auch gesunde Teile des Gehirns erfasse und irgendwann aufhöre.
«Im Vergleich mit den bisherigen Methoden zeigt eine solche Simulation viel genauer als gängige Messdaten, welche Hirnareale von einem Anfall betroffen sind – und welche nicht», sagt Viktor Jirsa. So mache der digitale Zwilling einen echten Unterschied: Er erkenne die epileptische Aktivität auch in jenen Arealen, welche man bislang verpasse.
Grosse Hoffnung «Hirn-Zwilling»
Die Idee solcher Simulationen findet Lukas Imbach vom schweizerischen Epilepsie-Zentrum bestechend. Das Modell ermögliche es zu testen, welche Operation, welche Verfahren und welches Ausmass der Operation das Beste sei. «Wenn diese Modelle gut funktionieren und sich zeigt, dass sie in der Klinik eingesetzt werden können, wäre das bis zu einem gewissen Grad ein Quantensprung», sagt Imbach.
Ob sich das bewahrheitet, muss sich weisen: Seit 2019 läuft in 13 Epilepsie-Zentren Frankreichs eine grosse klinische Studie mit fast 400 Teilnehmenden, um die neue Technik zu erproben. Erste Ergebnisse sind Ende 2024 zu erwarten.