«Was tun, wenn man sich von niemandem verstanden fühlt und sich deshalb ganz allein und innerlich leer fühlt?»
Es ist eine von über 50 Fragen aus dem Publikum, die unseren Expertinnen und Experten im «Puls»-Chat zum Thema «Einsamkeit» gestellt wurden. Das Mitteilungsbedürfnis der Menschen zeigt, wovor Fachpersonen und WHO seit Jahren warnen: Einsamkeit ist omnipräsent in unserer Gesellschaft – und sie macht uns krank.
Einer, der diese Anforderungen aus der Praxis kennt, ist Psychotherapeut und Autor Udo Rauchfleisch. Er ordnet die Fragen aus dem Chat ein.
SRF Wissen: «Ich habe niemanden, mit dem ich meinen Geburtstag feiern kann. Es macht mich traurig.» Herr Rauchfleisch, kennen Sie solche Fragen aus der Praxis?
Udo Rauchfleisch: Ja. Der Chat bildet eigentlich genau das ab, was ich in meinem Alltag als Therapeut erlebe: Einmal, dass Menschen, die einsam sind, extrem leiden – und dass es komplexe Situationen sind.
In der Regel ist es nicht nur ein Grund – also das Alter oder eine Krankheit – es kommen verschiedene Ursachen zusammen. Diese potenzieren sich und machen das Leiden unter der Einsamkeit noch schwieriger und komplexer.
Diese Komplexität zeigt sich auch in der Länge der Fragen – und Ihrer Antworten.
Genau.
Es gibt also keine einfachen Rezepte oder Tipps gegen Einsamkeit?
Nein. Man kann zwar auf die zahlreich vorhandenen Angebote – zum Beispiel von Pro Senectute – gegen Einsamkeit hinweisen. Aber oft wird das den Menschen nicht gerecht. Die Symptome sind individuell und hängen auch mit äusseren Umständen zusammen. Die Anonymität der Gesellschaft, die Entsolidarisierung, Armut, Migrationshintergrund spielen da genauso hinein wie Krankheit oder Alter. Da braucht es Gespräche mit Fachpersonen, um herauszufinden, was aus der Einsamkeit führen könnte.
Von Einsamkeit sprechen wir heute, wenn das Alleinsein über längere Zeit Leiden verursacht.
Gibt es überhaupt eine Diagnose Einsamkeit?
Aus medizinischer Sicht: nein. Bei psychiatrischen Diagnosen wie einer Depression reden wir davon, wenn typische Symptome wie fehlender Antrieb oder vermindertes Freud- und Lustempfinden vorliegen. Bei Einsamkeit kann man das nicht sagen, weil die Symptome so unterschiedlich sind. Da können sämtliche körperlichen oder psychischen Probleme darauf hinweisen. Klar ist aber, dass chronische Einsamkeit Stress auslöst.
Das sprechen auch einige LeserInnen an, die sich nach dem Verlust einer nahestehenden Person einsam fühlen.
Genau. Es kann vorkommen, dass ein Todesfall – gerade ein plötzlicher – zu Einsamkeit führen kann. Das muss aber nicht zwangsläufig eine tiefe, chronische Einsamkeit mit all ihren Folgen nach sich ziehen. Oft kommt jemand langsam über diesen Verlust hinweg und findet wieder eine neue Beziehung. Oder er etabliert sich in den bekannten alten Beziehungen. Von Einsamkeit sprechen wir heute, wenn das Alleinsein über längere Zeit Leiden verursacht.
Ein Zuschauer beschreibt seine Einsamkeit trotz erfolgreichen Lebensumständen und guter Vernetzung.
Das fand ich auch sehr spannend. Nicht das übliche Beispiel von arm und wenig Kontakten. Im Gegenteil: Er ist sozial und finanziell privilegiert, hat so gesehen alles, was man sich wünschen kann – und fühlt sich trotzdem einsam. Hier scheint es mir um Sinnfragen und um spirituelles Leben zu gehen. Auch die (vermeintliche) Sinnlosigkeit des Lebens kann zu Einsamkeit führen. Hier gilt es herauszufinden, was für ihn wirklich existenziell wichtig ist.
Das Gespräch führte Daniel Forrer