Auf die Frage, was wir am Gruseln denn so faszinierend finden, hatte Alfred Hitchcock, der Grossmeister des Spannungskinos, eine einfache Antwort: «In jedem von uns steckt Angst – und ein kleiner Masochist, der davon fasziniert ist.»
So wie wir einen Fuss ins Eiswasser stecken, um herauszufinden, wie lange wir das aushalten, so würden wir das Gefühl der Gefahr geniessen, solange wir uns in Sicherheit wissen. Zum Beispiel im Kinosessel oder fest angeschnallt auf der Achterbahn – die ja auch entgleisen könnte. «Die Schreie in diesem Moment würden sich sehr von jenen unterscheiden, die wir beim Auf und Ab der Bahn sonst ausstossen», meinte Hitchcock im Interview mit dem Schweizer Radio maliziös.
Angst ist etwas Urmenschliches, bestätigt die Zürcher Psychologin Regula Isenring: «Es kribbelt im Bauch und setzt physiologische Prozesse in Gang. Sie aktiviert den Überlebensmechanismus, der uns als Reaktion auf Bedrohungen nur drei Optionen offen lässt: Angriff, Flucht oder Totstellen.»
Daran habe bis heute nichts geändert, und auch unsere drei Hauptängste sind nach wie vor dieselben: «Die grösste Angst ist die vor dem Alleinsein oder Allein gelassen werden», erklärt Regula Isenring. «Die zweite ist die vor dem Wahnsinnig werden, also vor Kontrollverlust und Abhängigkeit. Die dritte Angst ist jene vor dem Sterben – wohlgemerkt: nicht vor dem Tod an sich.»
Sich gruseln würzt das Leben
Sich diesen Ängsten aussetzen, ohne dass wirklich etwas passieren kann: Diesen «Kick» suchen wir nicht ohne Grund. «Gruseln ist ein Erregungsphänomen», erklärt Psychologe Lutz Jänke von der Universität Zürich. «Wenn wir entspannt sind, befinden wir uns in einer mittleren Erregungslage. Das finden wir auf Dauer nicht so angenehm. Wir suchen stets eine gewisse Auslenkung, die aber auch nicht zu stark sein darf.»
Beim Gruseln bewegen wir uns in eine Richtung, die bis zu einem bestimmten Punkt sehr interessant ist. «‹Interessantheit› lösen wir aus bei unangenehmen, nicht besonders gut bekannten Situationen. So wie in der Kunst, wo wir ja auch jene Sachen lieben, die ein wenig von der Normalität abweichen», weiss Jänke.
Beim Gruseln sei das ungefähr dasselbe. «Wie weit wir diese Abweichung, diesen Kick, noch als angenehm empfinden, ist individuell verschieden. Auf jeden Fall ist es aber so, dass die Schwelle bei Betrachtung aus einer sicheren Warte weit höher liegt als in einer selber erlebten Situation in der realen Welt.»
Ungewissheit ist Trumpf
Die Lust am Gruseln befriedigen wir im Kino, beim Lesen oder zum Beispiel seit nunmehr 40 Jahren beim nächtlichen Hören des «Schreckmümpfelis» auf Radio SRF 1. Was uns dabei die wohligsten Schauer über den Rücken jagt, lässt sich gemäss der Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Christine Lötscher in einem einfachen Rezept zusammenfassen: «Etwas Unheimliches, Gefährliches, Grauenhaftes heraufbeschwören, ohne genau zu sagen, was es ist. Die Spannung ist dann am stärksten, wenn man nicht genau weiss, mit was man es zu tun hat.»