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Baumstämme, Steckdosen, Wolken Pareidolie: Warum wir Gesichter sehen, wo eigentlich keine sind

In Wolken, Kaffeetassen oder Baumstämmen: Überall erkennen wir Gesichter. Aber warum und wie macht unser Gehirn das?

Ziemlich gut drauf, die Kartoffel-Raffel oder?

Eine Kartoffelraffel grinst
Legende: Getty Images/ Jason Hoover

Vielleicht ist Ihnen das ja schon öfter passiert: Ein Blick in die Wolken, auf die Steckdose oder das Käsebrot – und plötzlich ist da ein Gesicht auf dem Gegenstand zu sehen. Witzig, was unser Gehirn den ganzen Tag so treibt. Aber Moment mal. Was genau treibt es in diesen Momenten eigentlich?

Automatische Gesichtserkennung des Gehirns

Kurz gesagt: Unser Gehirn schaltet auf Autovervollständigung. Denn um all die Sinneseindrücke des Tages verarbeiten zu können, ist es darauf ausgerichtet, Dinge wiederzuerkennen. Es sucht in visuellen Informationen nach Mustern und ordnet diese in Schubladen ein, die es schon kennt. So können wir auch in neuen Situationen im Bruchteil einer Sekunde reagieren. Auch beim Betrachten einer Maserung auf einem Baumstamm schaltet sich also die permanent laufende Gesichtserkennung ein und sagt: Schau, ein freundliches Gesicht!

In der Psychologie heisst dieses Phänomen «Pareidolie». «Para» steht im Griechischen für neben oder gegen und «Eidolon» für Bild oder Form.

Forschende wissen mittlerweile, dass die «vorgetäuschten» Gesichter im Gehirn die gleichen visuellen Mechanismen wie echte Gesichter aktivieren. Eine australische Studie von 2020 zeigt das.

Schon Föten erkennen Fake-Gesichter

Aber wie kommt's dazu? Ein Erklärungsversuch stammt aus der Evolutionspsychologie: Das Erkennen anderer war für unser Zusammen- und Überleben schon immer wichtig – und dass ein auf Krawall gebürsteter Mensch im Gebüsch lauert, kam in der Steinzeit natürlich noch etwas häufiger vor. Aus evolutionärer Sicht könnte es sich also um eine Alarmfunktion handeln, die sicherstellen soll, dass der Mensch im Alltag auch sich versteckende Personen und Gesichter ausfindig machen kann.

Wie eine britische Studie aus dem Jahr 2017 zeigt, ist uns die Fähigkeit angeboren. Das Krasse: Wir müssen noch nicht einmal echte Gesichter gesehen haben, damit der Effekt eintritt. Schon ungeborene Babys reagieren im Mutterleib auf Punkte, die wie ein Gesicht angeordnet sind. In der Studie wandten sich Föten auffällig oft einem mit Licht auf den Mutterleib projizierten und konstruierten Gesicht zu.

Ig-Nobelpreis für Pareidolie-Forschung

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2014 gewannen kanadische und chinesische Forschende den Ig-Nobelpreis, der für kuriose und gleichzeitig seriöse Forschung vergeben wird. Sie hatten als erste Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersucht, was bei Pareidolie im Gehirn passiert.

Geschlecht und Alter werden bestimmt

Interessanterweise macht unser Gehirn aber noch etwas mit den Infos: Es ordnet dem Gesicht Alter, Geschlecht und eine Stimmung zu. Auffallend häufig werden die illusorischen Gesichter dabei als jung und männlich wahrgenommen, wie US-Forschende in einer im Januar veröffentlichten Studie schreiben.

Eine Steckdose mit Gesicht
Legende: Eine junge, männliche Steckdose. Klar oder? Getty Images / Jason Hoover

Sie nehmen an, dass unser Gehirn besondere Signale benötigt, um einem Gesicht weibliche Eigenschaften zuzuschreiben.

Pareidolie in der Automobilbranche

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Auch Auto-Designende spielen oft mit dem Pareidolie-Effekt: Die Scheinwerfer dienen als Augen, Kühlergrill und Stossstange als Mund und Nase.

Ihre Proportionen und Formen sollen Emotionen vermitteln: Ein Auto mit zwei kugelrunden Scheinwerfern finden wir herzig, weil es ins Kindchenschema passt. Mit spitz zulaufenden Scheinwerfern, wie Sportwagen sie oft haben, verbinden wir Dynamik und Aggressivität. Am beliebtesten sind übrigens Autos mit freundlichem Grill und aggressiven Augen, wie eine Studie von österreichischen und amerikanischen Forschenden zeigen konnte.

Ist unser Gehirn in Sachen Gesichtserkennung also sexistisch? Jedenfalls sei die Tendenz zum Männlichen bemerkenswert, so die Forschenden. «Unser Gehirn ordnet Gesichter, bei denen nur sehr wenige Infos vorhanden sind, eher in die Schublade «männlich» ein», schreiben die Forschungsleiter. Ob das sozial antrainiert ist oder biologische Ursachen hat, ist allerdings (noch) unklar.

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SRF1, Einstein², 26.07.2022, 17:00 Uhr

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