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Burn On: Wenn wir nicht abschalten können
Aus Kultur aktuell vom 17.05.2022. Bild: Getty Images / Cecilie Arcurs
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 24 Sekunden.

Die Vorstufe des Burnouts Burn On: Im Spagat zwischen Pflichtbewusstsein und Erschöpfung

Erleben Sie Ihren Alltag wie ein Leben von Wochenende zu Wochenende oder von Urlaub zu Urlaub? Das ist bereits ein Anzeichen für ein «Burn On», der Vorstufe des Burnouts. Das lange und ermüdende Brennen für seinen Job, bevor der Burnout uns ausschaltet, hat jetzt also einen Namen.

Das Phänomen ist zwar noch weitgehend unbekannt und keine anerkannte Erkrankung – aber mindestens genauso gefährlich, wie sein bekanntes Pendant, weiss auch Psychotherapeut Bert te Wildt.

Bert te Wildt

Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie

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Bert te Wildt ist Chefarzt der Psychosomatischen Klinik im Kloster Dießen am Ammersee und Co-Autor des Buches «Burn on - Immer kurz vorm Burnout».

SRF Wissen: Herr te Wildt, wie fühlt sich ein Burn On an?

Bert te Wildt: Wie ein schmerzhafter Spagat über einem Abgrund, während sich die Schlucht weitet – oder eine Fahrt mit 180 Sachen über die Autobahn, bei der man nicht anhalten kann.

Es ist der Anspruch an permanent hohe Leistung – vor allem im Job – der zu diesem Spagat führt und sehr typisch für ein Burn On ist. Betroffene hangeln sich von To-do zu To-do, wozu irgendwann auch Treffen mit Freunden oder Wochenendtrips gehören, und kommen auch lange nach Feierabend gedanklich nicht aus dem Arbeitsmodus.

Wo liegt der Unterschied zum Burnout?

Beim Burnout kommt es zum Crash. Burn-On-Betroffene aber wirken von aussen positiv gestimmt. Wenn man sie fragt, wie es ihnen geht, sagen sie: ‹Alles gut, ich liebe meine Arbeit und meine Familie! Ich verstehe gar nicht, was mit mir los ist!›

Wenn man als Psychotherapeut dann einhakt, stellt man aber eine Diskrepanz fest: Die Frage, was ihnen noch Freude macht, beantworten Betroffene meist mit Schulterzucken. Viele sagen, sie funktionieren nur noch. Das Positive ist zur blossen Behauptung geworden. Dieser Zustand zwischen Positivismus und Anhedonie, also dem Zustand des Nichts-Empfindens, ist sehr gefährlich.

Warum das?

Weil es eine Einbahnstrasse ist. Für Betroffene scheint es keinen anderen Weg zu geben, als weiterzumachen und sich einzureden, dass alles funktioniert, während unbewusst die Gewissheit wächst, dass nichts mehr in Ordnung ist. Sie fühlen sich wie Hochstapler in ihrem eigenen Leben.

Weitere Anzeichen eines Burn Ons:

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  • Im Job sind Sie immer erreichbar - auch wenn Sie längst Feierabend haben.
  • Sie haben das Gefühl, Ihre Aufgaben und Tasks nicht mehr fertig zu bekommen und arbeiten deshalb auch nach Arbeitsschluss nach.
  • Trotz dadurch entstandener grosser Erschöpfung machen Sie weiter. Das wiederum führt zu noch mehr Erschöpfung.
  • Dinge, die Ihnen früher mal Spass gemacht haben, fühlen sich an wie Pflichten. Man durchsteht sie einfach.
  • Auf körperlicher Ebene machen sich Schlafstörungen und Verspannungen im Schulter-Nackenbereich breit. Es ist die sprichwörtliche Last, die auf den Menschen liegt.
  • Betroffene leiden auch häufig unter Bluthochdruck, denn Gefässe bestehen aus Muskeln, die auch verkrampfen können. Das wiederum kann zu Herz-und Hirninfarkten führen.

Sich damit auseinanderzusetzen ist schmerzhaft. Viele haben schlicht auch nie gelernt, damit umzugehen. Es bleibt nur, sich an der Arbeit und den To-do-Listen festzuhalten und das Leben danach auszurichten – teilweise über Jahrzehnte.

Aber warum verharren Betroffene so lange in diesem belastenden Zustand?

Weil Burn-On-Betroffene oft Menschen sind, die einen sehr hohen Anspruch an sich selbst haben. Das hat manchmal etwas mit der Erziehung zu tun, aber auch mit Misserfolgen in der Vergangenheit. Sie performen sich durch den Alltag, weil sie denken, das hilft. Teilweise sind es auch Menschen mit hoher Verantwortung und Arbeitslast, in Gesundheitsberufen etwa.

Burn-On-Betroffene haben oft einen sehr hohen Anspruch an ihr Leben und an sich selbst.

Natürlich hat ein Burn On auch mit der Gesellschaft zu tun, in der wir leben: «Nur eine kann Germany’s Next Topmodel werden», «Nur einer kann die Höhle des Löwen gewinnen». Gegen diesen Leistungsdruck meditieren, wellnessen und spörteln wir an.

Und das ist schlecht?

Wenn wir das nur machen, um weiter zu funktionieren, schon. Mit Besuchen in Wellnesshotels und exzessivem Saunieren versuchen wir, uns vom Burnout fernzuhalten und verfrachten uns dadurch ins Burn On. Alles hat sich dem Mantra der Geschäftigkeit unterzuordnen. Auch unser Zwang, alles aus einer positiven Warte betrachten zu müssen, kann in Kombination mit dem Leistungsdruck zum Burn On führen.

Positiv über eine Sache zu denken, ist ja erstmal nichts Falsches.

Es geht mir nicht darum, Menschen zu Pessimisten zu machen. Aber wenn wir negative Gefühle wie Angst, Wut, Trauer unterdrücken, verschwinden auch die positiven Gefühle. Sprich: Wenn Sie nicht trauern können, weil Sie denken, dass Sie weiterarbeiten müssen, werden Sie eher depressiv. Wer nicht wütend sein kann, kann sich auch nicht wehren – und damit nicht für sich sorgen. Wenn man glaubt, dass man das Leben nur mit guten Gefühlen leben kann, ist man völlig auf der falschen Fährte.

Was hilft, um gar nicht erst in ein Burn On zu rutschen?

Es mag banal klingen, aber Pausen sind eine Möglichkeit – und zwar richtige. Sie sind dann erholsam, wenn sie Dinge beinhalten, die sich möglichst stark von dem unterscheiden, was wir vor und nach der Pause tun.

Richtig Pausen machen – so gehts:

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Legende: Sich zum Spaziergang mit Freunden und Freundinnen zu verabreden, kann dabei helfen, Pausen auch wirklich einzuhalten. Getty Images / Valentin Casarsa
  • Um loszulassen, hilft es manchen Menschen, vor Beginn einer Arbeitspause den aktuellen Stand, an dem sie nach der Pause weiterarbeiten wollen, mit einigen Stichworten auf einem Zettel zu notieren. Damit kommen nach der Pause viele wieder schneller in Gang und in ihren Flow – und können die Arbeitsgedanken zwischendurch beiseiteschieben.
  • Bereits während der Tätigkeit, von der Sie eine Pause brauchen, auf sich zu achten. Manchen Menschen ist es möglich, in ihrer Arbeitssituation für Abwechslung zu sorgen. Trinken Sie regelmässig einen Schluck Wasser oder Tee, um nach Telefonaten oder der Arbeit am PC eine sinnliche Erfahrung zu machen. Wer kann, sollte abwechselnd im Sitzen und im Stehen arbeiten. Und gerade im Homeoffice reichen fünf Minuten mit Ihrer Lieblingsmusik, falten Sie Wäsche dabei – das sind körperliche Aktivitäten, bei denen Sie aus dem Regelmass ausbrechen.
  • Wenn Sie können, lassen Sie Ihr Smartphone in der Pause am Arbeitsplatz liegen. Die ständige Erreichbarkeit sollten wir Medizinern und anderen lebensrettenden Berufen überlassen. Sie aber können die impliziten Antwortverpflichtungen, die Sie fühlen, wenn Sie eine Nachricht erhalten, besser beiseiteschieben, wenn Sie Ihr Smartphone nicht bei sich haben. Ansonsten haben Sie in der Pause eine ähnliche Tätigkeitsbeschreibung wie im Job, Sie «müssen» Nachrichten beantworten und Ihr Postfach abarbeiten.
  • Seien Sie im Einhalten von Pausen genauso streng, wie Sie es im Einhalten von Terminen mit anderen Menschen sind. Es kann helfen, sich mit Kolleginnen und Kollegen zum Essen oder zu einem Spaziergang zu verabreden. Vielen gelingen Pausen mit anderen zusammen besser.

Ganz grundsätzlich schützen kann man sich, wenn man die eigene Freiheit als oberstes Prinzip hochhält. Dafür brauchen wir die Fähigkeit, unsere Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen und sie umzusetzen.

Mehr Infos:

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Bert te Wildt hat mit seinem Kollegen Timo Schiele ein Buch über das versteckte Leiden geschrieben:

«Burn On: Immer kurz vorm Burnout», Droemer, 2021.

Das Gespräch führte Gina Buhl.

SRF1 Online-Talk, 17.05.2022, 15:15 Uhr. ; 

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