Erleben Sie Ihren Alltag wie ein Leben von Wochenende zu Wochenende oder von Urlaub zu Urlaub? Das ist bereits ein Anzeichen für ein «Burn On», der Vorstufe des Burnouts. Das lange und ermüdende Brennen für seinen Job, bevor der Burnout uns ausschaltet, hat jetzt also einen Namen.
Das Phänomen ist zwar noch weitgehend unbekannt und keine anerkannte Erkrankung – aber mindestens genauso gefährlich, wie sein bekanntes Pendant, weiss auch Psychotherapeut Bert te Wildt.
SRF Wissen: Herr te Wildt, wie fühlt sich ein Burn On an?
Bert te Wildt: Wie ein schmerzhafter Spagat über einem Abgrund, während sich die Schlucht weitet – oder eine Fahrt mit 180 Sachen über die Autobahn, bei der man nicht anhalten kann.
Es ist der Anspruch an permanent hohe Leistung – vor allem im Job – der zu diesem Spagat führt und sehr typisch für ein Burn On ist. Betroffene hangeln sich von To-do zu To-do, wozu irgendwann auch Treffen mit Freunden oder Wochenendtrips gehören, und kommen auch lange nach Feierabend gedanklich nicht aus dem Arbeitsmodus.
Wo liegt der Unterschied zum Burnout?
Beim Burnout kommt es zum Crash. Burn-On-Betroffene aber wirken von aussen positiv gestimmt. Wenn man sie fragt, wie es ihnen geht, sagen sie: ‹Alles gut, ich liebe meine Arbeit und meine Familie! Ich verstehe gar nicht, was mit mir los ist!›
Wenn man als Psychotherapeut dann einhakt, stellt man aber eine Diskrepanz fest: Die Frage, was ihnen noch Freude macht, beantworten Betroffene meist mit Schulterzucken. Viele sagen, sie funktionieren nur noch. Das Positive ist zur blossen Behauptung geworden. Dieser Zustand zwischen Positivismus und Anhedonie, also dem Zustand des Nichts-Empfindens, ist sehr gefährlich.
Warum das?
Weil es eine Einbahnstrasse ist. Für Betroffene scheint es keinen anderen Weg zu geben, als weiterzumachen und sich einzureden, dass alles funktioniert, während unbewusst die Gewissheit wächst, dass nichts mehr in Ordnung ist. Sie fühlen sich wie Hochstapler in ihrem eigenen Leben.
Sich damit auseinanderzusetzen ist schmerzhaft. Viele haben schlicht auch nie gelernt, damit umzugehen. Es bleibt nur, sich an der Arbeit und den To-do-Listen festzuhalten und das Leben danach auszurichten – teilweise über Jahrzehnte.
Aber warum verharren Betroffene so lange in diesem belastenden Zustand?
Weil Burn-On-Betroffene oft Menschen sind, die einen sehr hohen Anspruch an sich selbst haben. Das hat manchmal etwas mit der Erziehung zu tun, aber auch mit Misserfolgen in der Vergangenheit. Sie performen sich durch den Alltag, weil sie denken, das hilft. Teilweise sind es auch Menschen mit hoher Verantwortung und Arbeitslast, in Gesundheitsberufen etwa.
Burn-On-Betroffene haben oft einen sehr hohen Anspruch an ihr Leben und an sich selbst.
Natürlich hat ein Burn On auch mit der Gesellschaft zu tun, in der wir leben: «Nur eine kann Germany’s Next Topmodel werden», «Nur einer kann die Höhle des Löwen gewinnen». Gegen diesen Leistungsdruck meditieren, wellnessen und spörteln wir an.
Und das ist schlecht?
Wenn wir das nur machen, um weiter zu funktionieren, schon. Mit Besuchen in Wellnesshotels und exzessivem Saunieren versuchen wir, uns vom Burnout fernzuhalten und verfrachten uns dadurch ins Burn On. Alles hat sich dem Mantra der Geschäftigkeit unterzuordnen. Auch unser Zwang, alles aus einer positiven Warte betrachten zu müssen, kann in Kombination mit dem Leistungsdruck zum Burn On führen.
Positiv über eine Sache zu denken, ist ja erstmal nichts Falsches.
Es geht mir nicht darum, Menschen zu Pessimisten zu machen. Aber wenn wir negative Gefühle wie Angst, Wut, Trauer unterdrücken, verschwinden auch die positiven Gefühle. Sprich: Wenn Sie nicht trauern können, weil Sie denken, dass Sie weiterarbeiten müssen, werden Sie eher depressiv. Wer nicht wütend sein kann, kann sich auch nicht wehren – und damit nicht für sich sorgen. Wenn man glaubt, dass man das Leben nur mit guten Gefühlen leben kann, ist man völlig auf der falschen Fährte.
Was hilft, um gar nicht erst in ein Burn On zu rutschen?
Es mag banal klingen, aber Pausen sind eine Möglichkeit – und zwar richtige. Sie sind dann erholsam, wenn sie Dinge beinhalten, die sich möglichst stark von dem unterscheiden, was wir vor und nach der Pause tun.
Ganz grundsätzlich schützen kann man sich, wenn man die eigene Freiheit als oberstes Prinzip hochhält. Dafür brauchen wir die Fähigkeit, unsere Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen und sie umzusetzen.
Das Gespräch führte Gina Buhl.