Was und wie wir essen – das hat laut Ernährungsberaterin und -therapeutin Kristin Landolt vom Universitätsspital Zürich mit unserer Kindheit zu tun. Wer beispielsweise schon früh lernt, aufessen zu müssen, tendiere als erwachsene Person eher dazu, über das Sättigungsgefühl hinaus zu essen.
Auch eine Analyse des Max-Planck-Instituts zeigt, dass Kinder, die häufig mit der Familie zusammen essen, einen geringeren Body Mass Index (BMI) haben und sich gesünder ernähren.
Wenn ein Elternteil hingegen Diäten macht, dann schaue das Kind das ab, so Kristin Landolt. Oder es schnappe gewisse Falschaussagen auf, die im Unterbewusstsein abgespeichert werden. Zum Beispiel: «Schokolade macht dick.»
Die 28-jährige Elena (Name geändert) ist in einer Familie aufgewachsen, die Essen zelebriert, oft wurden Verwandte zu grossen Familienfeiern eingeladen. Fast Food gab es hingegen nicht.
Als sie von zu Hause auszog, habe sich für sie eine ganz neue Welt aufgetan: Sie konnte selbst bestimmen, was sie essen möchte. Das machte es aber auch kompliziert: «Du fängst an zu arbeiten, lebst alleine und wenn du abends gestresst nach Hause kommst, hat deine Mutter nicht gekocht.» Umso mehr wollte sie sich in solchen Situationen etwas Leckeres gönnen und griff zu Fast Food.
Wenn sie einen schlechten Tag hatte, tröstete sie sich mit Essen, nach einem guten Tag belohnte sie sich. Manchmal trug Elena Kämpfe im Kopf aus: Einmal stand sie fünfzehn Minuten lang am Bahnhof und überlegte hin und her, ob sie sich Chicken-Nuggets kaufen soll – bis sie dann den Zug verpasste.
Essen als Strategie gegen Frust und Stress
Wer sich wie Elena nach einem langen Tag zu leckerem Essen greife, mache aber nicht prinzipiell etwas falsch, ordnet die Ernährungsberaterin Landolt ein. «Das ist sogar gut, denn dann kann Essen beispielsweise Freude und Genuss bereiten.»
Von emotionalem Essen spreche man, wenn man aus der Emotion heraus Essen auswählt – also zum Beispiel im Stress zu einem Snack greife. Problematisch werde es dann, wenn man nicht mehr bewusst essen kann und gar nicht mehr realisiere, dass Emotionen in herausfordernden Situationen das Essverhalten steuern.
Emotionales Essen an sich ist keine Essstörung, kann aber in eine kippen. Rund 1.6 Prozent der Schweizer Bevölkerung leidet an einer Binge-Eating-Störung, also an wiederholten, unkontrollierten Essattacken, die oft im Versteckten passieren.
Essgewohnheiten in der Schweiz
Auch für Dania Sulzer spielen die Emotionen eine grosse Rolle beim Kochen und Essen, aber eine schöne. «Meine Beziehung zum Essen ist sehr innig. Mich fasziniert, was im Rhythmus der Jahreszeiten alles möglich ist an verschiedenen Kombinationen» Die junge Frau aus Zürich nimmt sich mindestens einmal am Tag Zeit, um sich selbst zu bekochen.
Damit ist sie nicht alleine: In der Schweiz nimmt sich jede zweite Person an einem Werktag Zeit, um zu kochen – am Mittag sind es eher die älteren, am Abend eher die jüngeren Erwachsenen.
Wie bewusst essen lernen?
Wer im hektischen Alltag keine Zeit für aufwändige Menus hat, kann laut Kristin Landolt aber trotzdem lernen, bewusst zu essen. «Man muss sich immer wieder daran erinnern, eine längere Pause für Mahlzeiten einzuplanen.» Ihr Tipp: Sich die Mittagspause im Kalender einzutragen oder einen Post-it mit einer entsprechenden Notiz anbringen.