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Karriere oder Kinderzimmer Väter im Clinch – alte Rollenbilder dominieren immer noch

Wie schaffen Schweizer Väter den Spagat zwischen beruflicher Karriere und Familie? Aktuelle Daten zeigen: Väter wünschen sich zwar eine engere Bindung zu ihren Kindern, scheitern jedoch bei der Umsetzung. Woran liegt das? Und wie können alte Rollenbilder und neue Erwartungen vereinbart werden?

Er will kein Wochenendpapi sein. Loris Morscher hat nach der Geburt seines Sohnes sein Arbeitspensum auf 70 Prozent reduziert. «Ich habe den Anspruch, auch unter der Woche die Beziehung zu meinem Kind aufzubauen und meine Frau zu entlasten», sagt der frischgebackene Vater.

Seine Frau möchte ebenfalls 70 Prozent arbeiten, sobald der Mutterschaftsurlaub vorbei ist. Das Paar will sich Kinderbetreuung und Haushalt gleichmässig aufteilen.

Damit ist Loris Morscher längst nicht allein. Die Mehrheit der Männer wünscht sich, Teilzeit zu arbeiten. Trotzdem arbeiten vier von fünf Vätern Vollzeit, wenn ihr Kind unter zwölf Jahre alt ist. Bei den Müttern ist es nur jede Fünfte. Wieso setzen Väter den Wunsch nach Teilzeit nicht um?

Neue Erwartungen und alte Rollenbilder

«Die Vereinbarkeitsproblematik für Väter ist im Kern ungelöst», sagt der Psychologe und Väterexperte Markus Theunert. «Die meisten Väter spüren noch immer die Ernährerverantwortung und möchten zugleich eine enge Bindung zum Kind aufbauen.»

Die gesellschaftlichen Ansprüche an Väter hätten sich in diese Richtung verändert, meint Theunert. Während der Vater vor 50 Jahren das Oberhaupt der Familie war, erwarte die Gesellschaft heute alltagsnahe und emotional involvierte Väter. «Um dieser Anforderung gerecht zu werden, gibt es wenig Unterstützung von den Gesetz- und Arbeitgebern», so der Vaterexperte.

Teilzeitfalle für Väter: weniger Lohn bei gleichen Erwartungen

Von dieser Hürde berichtet auch Urs Kilchenmann. Er ist seit sieben Monaten Vater und arbeitet Vollzeit. «Es ist schwierig, wenn man reduziert, noch den gleichen Job und die gleichen Projekte zu haben.»

Häufig sei die Erwartung vom Arbeitgeber da, dass man auch bei kleinerem Pensum ständig verfügbar bleibe für gewisse Fragen. «Dann arbeitest du praktisch gleich viel, aber für weniger Lohn.»

Deshalb ist Urs lieber am Wochenende vollumfänglich für seine Tochter da und unterstützt seine Frau wochentags vor und nach der Arbeit.

Sein Engagement nimmt er also auf das Konto Eigenzeit. Da ihn seine Vaterrolle und die Zeit mit seiner Tochter so erfüllt, empfindet er dies aber nicht als Last, sondern als grosse Bereicherung.

Es gibt Väter, die auf der Strecke bleiben, ein Burn-out haben oder in eine Depression fallen, weil sie sich zu viel zugemutet haben.
Autor: Markus Theunert Psychologe

Markus Theunert warnt aber die Väter davor, ihre eigenen Bedürfnisse, Freunde und Hobbys komplett zurückzustellen. «Das ist kurzfristig eine Lösung, mittelfristig aber nicht gesundheitsförderlich», gibt der Psychologe Theunert zu bedenken. Elternschaft werde hierzulande massiv unterschätzt – und die Vaterschaft ganz besonders. Es gäbe zu wenig Hilfestellungen für Väter.

«Man schmeisst die Väter irgendwo ins Abenteuer und sagt: Alle lernen halt im Wasser schwimmen», so Theunert. «Es gibt Väter, die auf der Strecke bleiben, ein Burn-out haben oder in eine Depression fallen, weil sie sich zu viel zugemutet haben.» Und viel versteckter, aber auch viel zahlreicher, seien die Väter, die sich still und heimlich wieder in die Erwerbsarbeit verabschieden.

Die alten Rollenbilder sind nach wie vor in unserer Gesellschaft in den Köpfen drin.
Autor: Loris Morscher Vater

Loris Morschers Wunsch nach Teilzeit ist bei seiner Vorgesetzten auf offene Ohren gestossen. Er ist sich bewusst, dass das nicht selbstverständlich ist: «Die alten Rollenbilder sind nach wie vor in unserer Gesellschaft in den Köpfen drin, da haben wir noch etwas vor uns.»

Besonders deutlich zeigt sich das in der Verteilung der Hausarbeit und der Flexibilität in Notfällen: Bei mehr als der Hälfte der Schweizer Paare ist der Haushalt immer noch vor allem Frauensache.

Hausarbeit und Kinderbetreuung – kaum trennbar

Haushalte, in denen vornehmlich der Mann die Hausarbeit übernimmt, sind mit nur drei Prozent sehr selten. Auch wenn das Kind krank ist, bleibt in den meisten Fällen die Mutter zu Hause. Das zeigt, dass Hausarbeit und Kinderbetreuung eng miteinander verknüpft sind. Und wer Vollzeit arbeitet, ist weniger flexibel.

Mit der Aufteilung der Kinderbetreuung sind zwar mehr als die Hälfte der Frauen zufrieden, bei der Aufteilung der Hausarbeit liegt die Zufriedenheit nur bei 43 Prozent. Eine ausgewogenere Verteilung der Familienarbeit kann aber nur gelingen, wenn Kinderbetreuung und Hausarbeit gemeinsam betrachtet werden.

«Werdende Väter müssen sich bewusst sein, dass sie im traditionellen Modell landen, wenn sie sich nicht immer wieder aktiv bemühen», meint der Vaterexperte Theunert.

Um die Aufteilung egalitärer zu gestalten, brauche es viel und ganz konkrete Organisation. So diskutieren auch Loris Morscher und seine Frau immer wieder, wie sie sich die neuen Aufgaben aufteilen.

«Einstein»-Moderator Tobias Müller testet Baby-Simulator

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Mann mit Baby-Puppe in Stuhl
Legende: srf

Ich werde Vater und habe einen Selbstversuch mit einem Baby-Simulator gemacht. Der Simulator ist eine «Puppe», vollgepackt mit Sensoren und Software, welche die Bedürfnisse eines dreimonatigen Babys simuliert. «Schöppele», Windeln wechseln, Kopf stützen; alles wird digital registriert. Zwei Tage lang dauert der Versuch mit der Frage: Kann ich damit das Vater sein wirklich erleben?

Ich gebe zu: Als werdender Vater war ich skeptisch, ob so eine «Puppe» diesem Anspruch wirklich gerecht werden kann. Aber ich habe mich getäuscht – zumindest teilweise. Die Intensität eines Babys lässt sich mit dem Simulator überraschend gut erleben. Vor allem nachts. Ich musste immer 100 Prozent präsent sein, auch wenn ich noch so müde war. Ich kannte das schon aus Erzählungen, aber es so zu erleben, hat eine andere Wirkung und war für mich eine positive Erfahrung.

Was der Simulator definitiv nicht kann, ist Gefühle auslösen. Also all die positiven Aspekte eines eigenen Kindes, die fehlten mir. Strahlende Äuglein, das Lächeln, der Geruch – Fehlanzeige. Ein zentraler Aspekt der Erfahrung Vatersein blieb somit aussen vor.

Für Loris Morscher ist klar, dass sich der Aufwand lohnt: «Ich will nicht in 15 Jahren zurückschauen und etwas bereuen. Ich glaube, man kann nie genug Zeit mit einem Kind verbringen, gerade in den ersten Lebensmonaten und -jahren.»

Politisches Umdenken gefordert

Der Mutterschaftsurlaub von 14 Wochen wurde 2005 eingeführt. Erst seit 2021 haben auch Väter Anrecht auf zwei Wochen Vaterschaftsurlaub. Damit hinkt die Schweiz nach wie vor den meisten europäischen Ländern weit hinterher.

Vater/Kind-Bindung entsteht schon vor der Geburt

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Werdende Väter können zum ungeborenen Kind eine Bindung aufbauen. Das zeigt die niederländische Forscherin Marian Bakermans-Kranenburg in ihren Experimenten eindrücklich. Sie lässt Väter dem ungeborenen Kind Geschichten vorlesen oder Lieder vorsingen, während sie mit Ultraschall den Fötus beobachtet.

Ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel erkennt das Baby die Stimme seiner Mutter und seines Vaters. Man kann sehen, dass sich der Herzschlag des Babys erhöht, wenn Vater oder die Mutter mit ihm sprechen. Babys berühren die Wand der Gebärmutter länger, wenn es Berührungen von aussen gibt.

Und das hat die Forscherin auch beobachtet, als der Vater den Bauch der Mutter massierte, während er Lieder sang. Das Baby hob seine Hand, um Kontakt mit der Aussenwelt aufzunehmen. Der Vater erkennt so den Fötus als Menschen mit eigenem Willen, der seine Aufmerksamkeit und seinen Schutz braucht.

Tatsache ist, dass Väter gerne mehr teilhaben wollen. Väter, die sich während Schwangerschaft mehr einbringen, engagieren sich dann auch mehr nach der Geburt.

Vorreiter für Elternurlaub ist Norwegen, welches bereits 1977 einen 18-wöchigen Mutterschaftsurlaub einführte. Heute ist der Elternurlaub in drei Teile aufgeteilt: Einen für die Mutter, einen für den Vater und einen, welchen die beiden Elternteile flexibel aufteilen können. Insgesamt haben Eltern so Anspruch auf 49 Wochen Elternschaftsurlaub bei vollem Gehalt oder 59 Wochen mit 80 Prozent des Gehalts.

Es brauche in der Schweiz ein Umdenken auf allen Ebenen, ist Markus Theunert überzeugt. Es muss klar sein, dass Kinder beide brauchen: den Vater wie die Mutter. Und es muss selbstverständlich werden, dass Väter genauso wie Mütter Verantwortung übernehmen wollen. «Es braucht auch ein Umdenken bei den Arbeitgebern. Sie müssen erkennen, dass auch für Väter die Familiengründung eine vulnerable Phase ist.» Insbesondere in den betreuungsintensiven Kleinkindjahren brauchen Väter Entlastung.

Lichtblick bei der Elternzeit

Und es tut sich was in der Schweiz. Zumindest in Genf. Dort hat der Gemeinderat kürzlich entschieden: Bei der Stadt Genf angestellte Väter erhalten künftig acht Wochen Vaterschaftsurlaub. Eine Allianz von Mitte bis Grüne hat eine schweizweite Familienzeit-Initiative angekündigt, für je 18 Wochen Urlaub pro Elternteil.

Diese Initiative würde Urs Kilchenmann begrüssen: «Wenn ich nach Hause komme und meine Tochter hat etwas Neues gelernt, habe ich das verpasst. Ich hätte schon gerne mehr Zeit mit ihr. Zeit in einen Menschen zu investieren, ist etwas vom Schönsten.»

Einstein, 06.02.2025, 21:05 Uhr

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