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Fürstlich über die mütterliche Erblinie
Aus Kultur-Aktualität vom 04.06.2024. Bild: Landesmuseum Württemberg, H. Zwietasch
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Keltische DNA aus Deutschland Frühkeltische Macht: Vererbt durch die Mutter

Vor etwa 2'800 Jahren lebten in Teilen Europas frühkeltische Gruppen. Diese sind vermutlich über die mütterliche Erblinie organisiert gewesen.

In allen europäischen Monarchien erbte bis kurzem immer der erstgeborene Sohn den Thron von seinem Vater. Doch das war nicht immer so. Bei den frühkeltischen Menschen verlief die Erbfolge vermutlich über die mütterliche Linie. Solche matrilinear organisierten Gesellschaften bedeuten, dass Titel und Vermögen über die Mütter an ihre Töchter vererbt wird. Das die Erkenntnisse einer neuen Studie, bei der die DNA von frühkeltischen Menschen untersucht wurde.  

Die frühkeltischen Menschen

Die frühe Eisenzeit dauerte in Mitteleuropa von 800 bis 450 v. Chr. Damals lebten Menschen der frühkeltischen Kultur in Teilen Europas. Sie schmiedeten Eisen zu Werkzeugen, Waffen und Schmuck, betrieben Handel und Kriege, beackerten das Land oder waren Teil der Elite.

In der frühkeltischen Kultur galt: Je mächtiger die Person, desto imposanter das Grab und die Grabbeigaben. Den Menschen der fürstlichen Elite wurden Möbel, Prunkwägen, Goldschmuck, Importwaren und umfangreiche Trink- und Speisegefässe beigelegt.

Die fürstliche Verwandtschaft

Für ihre Studie untersuchte das Forschungsteam die DNA in den Zellkernen und die sehr viel kürzere in den Mitochondrien von 31 Personen.

Mehr zu den 31 Personen

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Die Forscherinnen und Forscher untersuchte die DNA von 31 Personen aus sieben frühkeltischen Grabhügeln. Diese Grabstätten liegen im heutigen Süddeutschland. Die 31 Personen lebten zwischen 616 und 200 v. Chr., also während der frühen Eisenzeit oder kurz danach. Ihre DNA wurde aus den Zähnen und einem Knochen im Innenohr entnommen. In diesem sogenannten Felsenbein überdauert die DNA die Zeit besonders gut.

Denn die Mitochondrien werden über die Eizelle der Mutter an ihre Nachfahren weitergegeben. Somit zeigt die mitochondriale DNA gut auf, wer mütterlicherseits miteinander verwandt ist.

Mütterlich organisierte Gesellschaften

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Heute leben 12 bis 17 Prozent der Weltbevölkerung in matrilinear organisierten Gesellschaften, wie die Autorinnen und Autoren in ihrer Publikation zitieren. Also in Gesellschaften, in denen Titel und Vermögen über die Mutter an die Töchter geht. Für die Eisenzeit in Europa ist die matrilineare Vererbung der Königinnenwürde für Eturien (im heutigen Italien) und das antike Rom dokumentiert. Und es hat sich gezeigt, dass solche matrilineare, avunculäre Organisationen in Populationen auftreten, in denen aussereheliche Kinder üblich sind.

Avunculär kommt von Avunculus und bedeutet Muttersbruder, also der Onkel mütterlicherseits. Dieser Onkel hatte in solchen Organisationen eine wichtige Rolle: Er übernahm die soziale Vaterschaft seiner Neffen und Nichten.

Das leuchtet ein. Bei der Möglichkeit von ausserehelichen Kindern haben Männer weniger Gewissheit, dass die Kinder ihrer Ehefrauen mit ihnen biologisch verwandt sind. Mehr Gewissheit haben sie bei Kindern ihrer Schwestern, sind diese Schwestern doch mindestens Halbgeschwister. Wichtig ist zu betonen, dass bei dieser Deutung nicht klar ist, ob das Verhalten oder die matrilineare Organisation das jeweils andere bedingt.

Das Team identifizierte mehrere biologisch verwandte Gruppen, die sich über drei Elitegräber erstreckten. Zum Beispiel ein Onkel und der Sohn seiner Schwester, beides Fürsten. Oder eine Urgrossmutter und der Sohn der Tochter ihrer Tochter, also ihr Urenkel, beide auch Teil der Elite.

Keltinnen und ihre Rechte

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Eine matrilineare Vererbung bedeutet nicht zwingend eine matriarchale Gesellschaft, also eine weibliche Herrschaft. Die Annahme des Forschungsteams ist es, dass keltische Fürsten ihre Macht nicht an ihre eigenen Kinder vererbten, sondern an die ihrer Schwestern. So hatten die Frauen indirekte Macht durch das Erschaffen von Herrschaftssystemen. Und es ist auch bekannt, dass es zu dieser Zeit Fürstinnen gab. Doch herrschten wohl meist die Männer innerhalb dieser Familien der Elite.

Das Eindrückliche dieser Urgrossmutter und ihrem Nachfahren – ihre Gräber lagen über 100 Kilometer voneinander entfernt. Genauer in Magdalenenburg und der Urenkel in Hochdorf. Das ist sehr untypisch zwischen eng verwandten Personen dieser Zeit. Doch wo wuchs der Urenkel auf?

Isotopen zeigen Region an

Das lässt sich über die sogenannte Isotopenanalyse sagen. Denn über die Nahrung nehmen Lebewesen chemische Elemente ihrer Umwelt in sich auf. Einige dieser Elemente unterscheiden sich leicht nach Region. So können Forschende bestimmen, in welcher Region ein Mensch gelebt hat.

Die Untersuchung der Isotope zeigt, dass der Urenkel im Raum Magdalenenburg aufwuchs. Also in der Region, wo seine Urgrossmutter begraben liegt. Diese Untersuchungen geben Hinweise darauf, dass die mächtigen Familien dieser Zeit über ein geografisch weitreichendes Netzwerk regierten. Ähnlich wie später adlige Frauen in Königsfamilien wurden wohl damals Söhne der Elite mit Frauen mit einem Fürstinnentitel verheiratet.

Weitreichende mächtige Familien

Diese DNA- und Isotopenanalysen ergeben zwei Erkenntnisse, wenn auch nicht mit hundertprozentiger Sicherheit. Erstens: Reichtum und Macht wurde unter der frühkeltischen Elite möglicherweise in matrilinearen Linien vererbt. Und Zweitens: Die Elitefamilien waren wohl über ein weites geografisches Gebiet verteilt.

Radio SRF 2 Kultur, 04.06.2024, 10:00 Uhr

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