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«Seit ich schneller lesen kann, ist meine Karriere richtig in Schwung gekommen und mein Einkommen hat sich deutlich verbessert», schwärmt Schnell-Leserin Filiz Scarcella. Als Projektleiterin litt sie unter der täglichen Flut von schriftlichen Informationen, die sie kaum bewältigen konnte.
Ihr Leidensdruck wurde so gross, dass sie einen Kurs im so genannten Speed Reading besuchte. In der Folge trainierte sie diese Techniken. Heute liest sie pro Woche bis zu fünf Bücher – und das mit einer Lesegeschwindigkeit von 700 bis 1200 Wörtern pro Minute (WpM). Und sie gibt nun selbst Schnelllese-Kurse.
Schneller – aber mit Verständnis
Speed Reading steht für die Fähigkeit, einen Text überdurchschnittlich schnell zu lesen und den Inhalt des Textes vollumfänglich zu verstehen. Die meisten Menschen gehören, wie früher auch Scarcella, zur Gruppe der Normalleser. Sie lesen Texte mit einem Tempo von durchschnittlich bis 220 WpM.
Mit viel Übung und ständiger Temposteigerung, ohne dabei ins «überfliegende Lesen» zu geraten, könne man diese Geschwindigkeit verdoppeln, meint Peter Rösler, Vorsitzender der deutschen Gesellschaft für Schnell-Lesen. Seine Gesellschaft berät Interessierte, führt Schnell-Leser zusammen und vermittelt Kontakte für Forschung und Medien. Mit einem Tempo von 450 WpM gehört laut Rösler zwar noch nicht zu den richtigen Schnelllesern, aber immerhin schon zu den 5 Prozent der schnellsten Leser.
Drei Hirnareale helfen mit
Das normale Lesen aktiviert verschiedene Areale der linken Hirnhälfte. Das gelbe phonologische Zentrum (temporoparietaler Kortex) auf der Grafik unten ist aktiv bei buchstabierendem Lesen, wie es Anfänger machen. Hier entschlüsseln wir auch unbekannte Wörter, zum Beispiel Fremdwörter. Im grünen Areal, dem orthographischen Zentrum (ventraler okzipitotemporaler Kortex) liegt das Wortbildgedächtnis. Es speichert vertraute Wörter als Bild und macht schnelles Lesen erst möglich.
Das dritte, rote Areal ist unser motorisches Sprechzentrum (Gyros frontalis inferior). Es ist fürs Artikulieren verantwortlich und bei Normallesern auch aktiv. Das bedeutet, sie sprechen beim Normallesen eigentlich das Gelesene innerlich mit. Je schneller wir lesen können, desto ausgeprägter findet dies im grünen Areal statt.
Vereinfachung zu Wortgruppen
Ein Lesetempo wie bei «Natural Speed Readern» (siehe Box) ist für uns Normalleser unerreichbar. Doch auch wir können das Lesen so trainieren, dass es nur noch rein optisch funktioniert. Bei dieser Form des Schnelllesens werden ganze Wortgruppen auf einen Blick erfasst. Das führt dann zu einer Lesegeschwindigkeit von über 1000 WpM: Ein Speed Reader erfasst dabei einen ganzen Satz mit deutlich weniger Augenbewegungen als ein Normalleser und das innerliche Mitsprechen entfällt.
Dieses optische Schnelllesen ist allerdings nicht zu vergleichen mit dem bekannten Diagonallesen: Dabei überfliegt der Lesende einen Text mit den Augen nur diagonal. Er erkennt so zwar den Inhalt; es reicht aber nicht, den Text komplett zu verstehen.
Hartes Training für die Augen
Für die verschiedenen Formen des Schnelllesens existiert eine ganze Bandbreite an Techniken. Dementsprechend gross ist auch das Angebot an Ratgebern und Kursen. Allerdings, so Peter Rösler, ist es mit einem einmaligen Kursbesuch oder dem Lesen eines Ratgebers nicht getan. Beim Schnelllesen brauche es vor allem viel Geduld und noch mehr Übung – das Einzige, was beim Speed Reading nicht schnell geht, ist also das Lernen an sich.
Diesen Lernprozess beschreibt Filiz Scarcella so, als ob man mit den Augen ins Fitnessstudio gehe. Der Aufwand lohne sich aber, denn mit dem Schnelllesen könne sie viel bewusster und strukturierter lesen, komme schneller ans Ziel und vor allem: Sie gewinne Zeit.
Nicht für alle Texte zu empfehlen
Das Schnelllesen hat aber auch Grenzen. Bei ganz komplizierten Texten bremse und limitiere seine Nachdenkgeschwindigkeit das Lesetempo, erklärt Peter Rösler, und man müsse ja nicht alles schnelllesen. Bei einem Gedicht mache es nun wirklich keinen Sinn. Und gerade Schlüsselszenen bei einem guten Roman könne man natürlich nach wie vor Wort für Wort und in aller Ruhe geniessen.
Auch ein Schnell-Leser wie Peter Rösler wendet also nicht eine feste Lesegeschwindigkeit an, er besitzt nur eine grössere Bandbreite an Tempi als ein Normallesender. Und bei epischen Landschaftsbeschreibungen in einem Roman, gesteht er, drücke er schon gewaltig aufs Tempo.
Übrigens: Dieser Text umfasst mit Titel und Vorspann 731 Wörter. Der Weltrekordhalter im Speed Reading, der Amerikaner Sean Adam (3850 WpM), würde dafür etwa 11 Sekunden brauchen.
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