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Schimpfen und Fluchen gibt Kraft
Aus Ratgeber vom 04.07.2024. Bild: IMAGO / Panthermedia
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Sportpsychologie Schimpfen Sie sich zum Sieg

Schimpfen kann uns helfen, beim Sport länger durchzuhalten und mehr Kraft zu mobilisieren. Das funktioniert aber nicht bei allen und nur in ganz bestimmten Situationen.

Er beleidigte den Schiedsrichter und die Zuschauenden, warf seinen Schläger durch die Gegend und war bekannt für seine Schimpf-Tiraden: John McEnroe, der ehemalige Tennisspieler und «Badboy» seines Sports. Schimpfen oder Fluchen beim Sport – das machen viele, ob Profi- oder Hobbysportlerinnen. Und auch wenn sie nicht gerne gehört werden: verbale Ausbrüche haben Auswirkungen auf die sportliche Leistung.

Schimpfen, also tabuisierte oder sozial verbotene Ausdrücke zu verwenden, steht oft im Zusammenhang mit starken Emotionen. «Fluchen kann Wut und Frust ausdrücken, aber auch Freude und Erleichterung nach dem Meistern einer besonders anstrengenden Herausforderung», sagt der Sportpsychologe Jan Rauch, der an der Zürcher Fachhochschule für Angewandte Wissenschaften lehrt. Dabei wird das limbische System aktiviert, das im Gehirn für Emotionen und Erinnerungen zuständig ist. Es sind also andere Gehirnregionen involviert, als wenn wir normal sprechen.

Falls Sie während dem Sporttreiben das eine oder andere Schimpfwort zurückgehalten haben, könnten diese Studienergebnisse Ihren künftigen Umgang damit verändern. Denn Fluchen kann positive Effekte auf die Leistung haben. Und zwar können Menschen dank der derben Ausdrücke mehr Kraft mobilisieren.

Der Sportpsychologe erklärt: «Wenn ein Torschuss an die Latte geht und sich ein Spieler darüber aufregt, kann das bei ihm eine Kampfreaktion im autonomen Nervensystem auslösen. Dadurch werden Ressourcen bereitgestellt, die im normalen Zustand nicht zur Verfügung stehen.» Fluchen könne also eine enthemmende Wirkung entfalten. Im Falle des Fussballspielers bedeutet das: Der Ball prallt ab und der Spieler sprintet mit noch mehr Energie los.

Schimpfen kann Schmerzen lindern

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Legende: John McEnroe war für sein Fluchen auf dem Tennisplatz bekannt. Keystone / Fred Beckham

Schimpfwörter machen weit mehr mit uns, als bloss unserer Wut oder Freude Ausdruck zu verleihen. Beispielweise können Menschen wegen des Fluchens eine höhere Schmerzgrenze haben. Das wurde in verschiedenen Studien gezeigt, in denen Probanden ihre Hand möglichst lange in kaltes Wasser tauchten. Wem obszöne Wörter über die Lippen gingen, konnte die Hand länger drin halten.

Oder wenn jemand in einer Gruppe ausgegrenzt wird und dann flucht, fühlt sich diese Person weniger sozial ausgeschlossen. Sprich: Fluchen kann auch soziale Schmerzen abfedern. Allerdings treten diese Effekte nicht bei allen auf.

Interessant ist, dass das Fluchwort auch wirklich verstanden werden muss, um eine Wirkung zu haben. Und zudem man als Kind mit dem Schimpfwort sozialisiert wurde und somit verinnerlicht hat, dass es sich um einen verbotenen Ausdruck handelt. «Wenn Fluchwörter in einer Fremdsprache geäussert werden, die man nicht beherrscht und mit der man nicht aufgewachsen ist, oder es werden fiktive Laute hervorgebracht, treten diese Effekte nicht auf», fasst der Sportpsychologe Jan Rauch zusammen.

«Das gelingt aber nur, wenn der Kraftausdruck dem Gehirn signalisiert, dass es sich um eine aussergewöhnliche Situation handelt», führt Rauch weiter aus. Sagt eine Person jeden Morgen «Donnerwätter», wird der Ausdruck im Training kaum eine Leistungssteigerung bewirken. Zudem ist es von Person zu Person sehr unterschiedlich, ob dank Fluchen die letzten Energieressourcen wirklich angezapft werden können.

Fluchen kann Wut verstärken und ablenken

Manche können durchs Fluchen Frust loswerden und sich beruhigen. Aber Achtung: «Bei den allermeisten Menschen passiert das Gegenteil. Es verstärkt den Frust und die körperliche Aufregung», betont Rauch. Je nach Kontext wirkt Fluchen beim Sport nicht enthemmend, sondern ist kontraproduktiv. «Denkt ein Fussballspieler nur noch an den blöden Lattenschuss, den schlechten Rasen, den unfairen Schiedsrichter, und steigert sich in seinen Ärger hinein, dann ist Fluchen keine gute Strategie.» Ein Sportler lenke dadurch seine ganze Aufmerksamkeit aufs Negative und könne sich nicht dem fortgesetzten Spiel widmen.

Sich dank Stöhnen beim Tennis einen Vorteil verschaffen?

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Legende: Tennisspielerinnen und Tennisspieler haben dank Grunzen und Stöhnen einen stärkeren Aufschlag. Keystone / Teresa Suarez

Welche Wirkung hat intuitives Fluchen nach einem Fehler auf die Gegnerin oder den Gegner? «Das ist noch nicht geklärt», sagt der Sportpsychologe Jan Rauch. Fluch-Tiraden könnten den Eindruck erwecken, dass eine Sportlerin mit ihren Nerven am Ende ist. Das könnte die Gegnerin nur noch mehr anspornen, Gas zu geben. Umgekehrt könnte Schimpfen aber auch Macht demonstrieren. Diese Fragen in Bezug zum Fluchen beim Sport gilt es noch zu klären.

Besser erforscht sind hingegen Stöhn-Geräusche beim Tennisspielen. Diese Laute haben in der Vergangenheit grosse Debatten ausgelöst und Forschung angestossen. Wenn Tennisspieler bei einem Match laut stöhnen, erweckt dies bei Zuschauenden den Eindruck, dass der Ball mit grösserer Wucht daherkommt. Und Spieler haben dank Grunzen und Stöhnen tatsächlich einen stärkeren Aufschlag. «Stöhnen ist aber nicht dasselbe wie Fluchen», räumt der Sportpsychologe ein. Deshalb könnten diese Ergebnisse nicht übertragen werden.

Etwas anderes ist es, sich nicht über sich selbst aufzuregen, sondern den Gegner oder die Gegnerin absichtlich zu beleidigen – auch «Trashtalk» genannt. Dabei versucht eine Sportlerin oder ein Sportler die andere Person zu provozieren und sie aus dem Konzept zu bringen. Und sie schliesslich so stark abzulenken, dass ihre Leistung abnimmt.

«Als Hobby-Sportlerin oder Sportler darf man gerne mal ausprobieren, was fluchen mit einem macht – solange niemand zuhört», sagt Rauch und lacht. Grundsätzlich rät er aber von dieser Strategie zur Leistungssteigerung ab. «Es kann zwar in Ausnahmefällen kurzzeitig stärker oder schneller machen». Aber aus einem Hobbysportler wird dadurch kein Xherdan Shaqiri.

Sein Tipp: Sich auf Belohnungen wie das Gefühl von Stolz und Triumph oder auf eine leckere Mahlzeit konzentrieren, die nach der Anstrengung warten. Aber auch hier kann der Effekt mit der Zeit nachlassen.

Ratgeber, 04.07.2024, 11:08 Uhr

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