Diesen Text schreibe ich bewusst am Zyklustag eins. Ich habe mich ins Homeoffice zurückgezogen – gereizt, müde, abgeschlagen. Allein die Vorstellung, jetzt mit Bauchkrämpfen und Kopfschmerzen im Grossraumbüro zu sitzen, strengt mich an.
Warum ich das hier öffentlich teile? Weil zyklusorientiertes Leben genau so funktioniert: Man lebt im Einklang mit den Phasen, um das eigene Potenzial physisch und psychisch voll auszuschöpfen. Für mich heisst das heute: Rückzug.
In den vergangenen Wochen habe ich versucht herauszufinden, was an den Empfehlungen der Hormon-Coaches aus dem Netz dran ist. Eines gleich vorweg: Zyklusorientiert zu essen, zu trainieren und zu arbeiten ist kompliziert, wenn man es wissenschaftlich angehen will.
Das liegt vor allem daran, dass der hochsensible und komplexe Vorgang von Frau zu Frau stark variiert. Und es liegt an Forschenden, die diese Perspektive lange ausgeblendet, oder in Untersuchungen der Einfachheit halber weggelassen haben.
Die Basics
Aber fangen wir bei den Grundlagen an: Der Menstruationszyklus wird von Hormonen gesteuert, die in Wechselwirkung zueinander stehen. Das sind luteinisierende und follikelstimulierende Hormone sowie die weiblichen Geschlechtshormone Östrogen und Progesteron. Die Phasen des Zyklus setzen sich aus Follikelphase (vor dem Eisprung), Ovulationsphase (Eisprung) und Lutealphase (nach dem Eisprung) zusammen.
Im Gegensatz zur eher spärlich besetzten Studienlandschaft, bieten im Internet zahlreiche selbst ernannte Zyklus-Coaches PMS-Ernährungsberatung und Luteal-Trainingspläne auf Instagram an oder geben Job-Ratschläge für einen regelmässigen Eisprung via Tiktok.
Sie alle versprechen eines: Wer die Eigenheiten des Zyklus kennt, kommt nicht nur beschwerdefrei durch den Alltag, sondern wird auch leistungsfähiger, kreativer, attraktiver und fitter.
Ist da was dran? Welchen Einfluss haben Ernährung, Job und Sport wirklich auf den Zyklus? Sind die Empfehlungen wissenschaftlich belegbar – oder klingen sie nur gut?
Im Einklang mit der Körperlogik
«Ernährung, Job und Sport beeinflussen über Botenstoffe im Gehirn auch indirekt die Steuerzentrale unseres Zyklus», sagt die Münchner Gynäkologin Vanadin Seifert-Klauss. Sie forscht seit Jahrzehnten an der Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde in München.
Die Auswirkungen eines stressigen Jobs oder einer einseitigen Ernährung liessen sich darum unmittelbar ablesen: Der weibliche Zyklus wird im Hypothalamus über die Hirnanhangdrüse reguliert. Dafür geben Neuronen in pulsierender Weise Hormone in die Blutgefässe ab. Dadurch entsteht ein «Code», der definiert, wie oft die Impulse eintreten und wie ausgeprägt sie sind.
Es gibt Studien, die zeigen, dass die Einnahme von Magnesium Krämpfe während der Mens reduzieren kann.
Durch Stress – einseitige Ernährung, falsches Training, Probleme im Job – oder Krankheiten können die pulsierenden Stösse langsamer ausfallen oder ganz eingestellt werden. Die Mens bleibt aus. Dass Frauen grundsätzlich mit ihrer individuellen Körperlogik im Einklang leben sollten und nicht dagegen, ergibt also erst einmal Sinn.
1. Die Ernährung
Zyklus-Influencerin Jessie Roch ist eine der bekanntesten Cycle-Food-Influencerinnen im deutschsprachigen Raum. Ihr Versprechen: «Bye bye PMS und Periodenprobleme – mit Zyklus-Food». Leinöl, Cashewkerne oder Avocados etwa sollen laut Jessie für einen regelmässigen Eisprung und weniger Schmerzen während der Mens sorgen.
«Tatsächlich gibt es Studien, die zeigen, dass die Einnahme von Magnesium Krämpfe während der Mens reduzieren kann und auch PMS-Symptome verringert. So gesehen macht die Empfehlung der Zyklus-Influencerinnen, Cashews zu essen, Sinn – denn diese enthalten unter anderem Magnesium», erklärt Ernährungsberaterin Sue Menzi. Sie ist auf zyklusbasierte Ernährung spezialisiert und berät Frauen in Zürich.
Allerdings sei es einfacher, Magnesium als Brausetablette zu supplementieren. Denn um auf die benötigte Menge von 250 Gramm zu kommen, müsste man täglich 100 Gramm Cashews essen. Ganz schön viel.
Schoggi-Lust wegen Energiedefizits
Generell scheint sich zyklusorientierte Ernährung tatsächlich zu lohnen: «Viele Frauen kommen mit starken Krämpfen, Schmerzen oder Heisshungerattacken zu mir und sind sehr überrascht, wie easy sie diese Symptome mit der entsprechenden Ernährung in den Griff bekommen», erzählt Menzi.
Grundsätzlich sollte der Fokus bis zum Eisprung auf Proteinen liegen.
Besonders wirksam sei es bei Heisshungerattacken: «Studien zeigen, dass der Energiebedarf in der Woche vor der Mens bis zu 20 Prozent höher ist. Weil das die meisten Frauen aber nicht wissen, essen sie nicht genug und geraten in ein Energiedefizit. Dadurch entstehen die Cravings.»
Dass viele Frauen jeden Monat mit schlechtem Gewissen Chips und Schoggi mampfend auf dem Sofa liegen, wäre demnach vermeidbar – würden sie nur über den Tag verteilt etwas mehr (Gesundes) essen als in den anderen Zykluswochen.
Aber mehr ist nicht genug: «Grundsätzlich sollte der Fokus bis zum Eisprung auf Proteinen liegen. Das erhöhte Östrogen in dieser Phase begünstigt den Muskelaufbau.» Die Expertin empfiehlt drei bis vier Portionen Protein täglich, pro Mahlzeit etwa 20 Gramm. «Wenn Frau dann noch trainiert, sollte sie nach dem Sport erneut 20 Gramm Protein zu sich nehmen.»
Hormone verhindern Zugriff auf Kohlenhydratspeicher
In der zweiten Zyklushälfte sollten Kohlenhydrate den Teller dominieren. «Unser Körper kann in dieser Zeit weniger gut auf Kohlenhydratspeicher zugreifen, deshalb sollten wir immer genug auf Vorrat haben», so Menzi.
Ausserdem sei das Progesteron erhöht, was eher zu einem Muskelabbau führe. Wenn die Schleimhaut (in Vorbereitung auf die Mens) abgebaut wird, befinden sich Frauen im sogenannten «Katabolismus», einer Abbauphase des Stoffwechsels. Dieser Abbau erfolgt aber nicht nur in der Gebärmutter, sondern im ganzen Körper – und das braucht Energie. Darum: rein mit komplexen Kohlenhydraten wie Kartoffeln oder Vollkornpasta.
Apropos Pasta: Tatsächlich sei eine der Hauptursachen bei Zyklusbeschwerden, dass Frauen zu wenig Kohlenhydrate essen, so Menzi. «Oder sie essen einfach von allem zu wenig.» Besonders gut untersucht sind übrigens auch die Benefits von Omega-3-Fettsäuren, Magnesium und Calcium. Deshalb sollten Frauen auch auf die ausreichende Versorgung dieser Nährstoffe achten.
Beratung statt Cashews
Wie bei allen Ernährungsempfehlungen gibt es jedoch kein «One-Ernährung-fits-All». Wer starke Zyklusbeschwerden hat, bekommt sie wohl nicht mit einer Handvoll Cashews oder einer Magnesium-Brausetablette in den Griff. Hier ist die Betreuung und Beratung von Expertinnen gefragt.
2. Das Training
Die Schweizer Nati setzt seit 2020 auf ein Training nach Menstruationszyklus. Auch Athletik-Trainerin Mélanie Pauli beschäftigt sich seit Jahren damit. Und spätestens seit Skifahrerin Mikaela Shiffrin nach ihrem Sieg im Riesenslalom im Jahr 2023 einem Journalisten erzählte, dass sie müde gewesen sei, weil sie sich in einem ungünstigen Zeitpunkt ihres Zyklus befände, ist klar: Zyklusbasiertes Training ist im Spitzensport angekommen.
Auch fernab vom Profibereich zeigt sich der Trend in detaillierten Empfehlungen für Hobbysportlerinnen im Netz: «Während der Menstruation könnt ihr es im Training entspannt angehen, kein Krafttraining oder anstrengende Sprints. Lockeres Ausdauertraining (…) oder Radfahren sind ideal», proklamiert ein Blogeintrag. «In der Follikelphase (…) könnt ihr Vollgas geben. Die Bänder sind durch das Östrogen lockerer und ihr verletzungsanfälliger. Also aufpassen, dass ihr nicht umknickt. Dafür seid ihr voller Energie! Und weil Östrogen bei Frauen ähnlich wie Testosteron bei Männern wirkt, sorgt der hohe Östrogenspiegel dafür, dass eure Muskeln auf Trainingsreize stark reagieren.» In der Lutealphase könne dann Grundlagentraining absolviert werden.
Wer diese Pläne beachtet, soll über einen längeren Zeitpunkt gesehen, die Leistung steigern können.
Die Wissenschaft zeichnet ein zurückhaltenderes Bild: «Es gibt Übersichtsarbeiten, die zeigen, dass es bei der Leistungsfähigkeit nur minimale Schwankungen über den Menstruationszyklus hinweg gibt», so Nora Wieloch, die an der Universitätsklinik Balgrist die Abteilung Frau & Sport leitet.
Nur ein kleiner Effekt
«Wahrscheinlich ist es so, dass die Leistungsfähigkeit in der frühen Follikelphase mit Beginn der Menstruationsblutung leicht reduziert ist gegenüber den anderen Zyklusphasen. Aber der Unterschied ist wirklich klein», so die Sportmedizinerin.
Zyklusbasiertes Training ist die Kirsche auf der Torte.
Grundsätzlich hätten die Studien aber häufig eine schlechte Studienqualität. «Es wurde bisher nicht viel gute Wissenschaft gemacht in diesem Bereich – auch weil es wahnsinnig kompliziert ist.» Vielleicht gebe es einen Effekt – die aktuelle Datenlage deute aber nur auf einen kleinen hin, räumt Wieloch ein. Vielleicht hat die Wissenschaft aber auch einfach bisher nicht herausgefunden, wie sie richtig misst.
Nicht jeder Zyklus hat einen Eisprung
Denn um zuverlässig einen Zyklus festzustellen, reicht es nicht, den ersten Tag der Menstruationsblutung zu kennen. «Regelmässige Blutentnahmen und auch Urinproben sind notwendig. Entgegen vieler Annahmen hat aber nicht jeder Zyklus einen Eisprung.» Das macht die Sache für Forschende nicht gerade einfach – genauso wenig wie für Hobbysportlerinnen, die nicht über professionelle Messmöglichkeiten verfügen.
Letztlich muss also ein individueller Ansatz für jede Frau gefunden werden. Dazu gehört: darauf zu achten, wann sich welche Trainingsform gut anfühlt. «Will man als Hobbysportlerin leistungsfähiger werden, sollten zuerst alle anderen bekannten Faktoren optimiert werden: Ernährung, Regeneration, Trainingsplanung», so Wieloch. Das Training nach Zyklus sei dann «die Kirsche auf der Torte».
3. Der Job
Ein Lebensbereich, in dem viele Frauen in den vergangenen Jahrzehnten doppelt so viel Gas gegeben haben wie Männer – um dasselbe zu erreichen: der Job. Eine britische Studie aus dem Jahr 2017 zeigt, dass gerade sieben Prozent der Arbeitgebenden sich aktiv mit Menstruation am Arbeitsplatz beschäftigen. «Ich glaube, dass es in Wirklichkeit noch weniger sind.»
Wenn wir eine Arbeitsstruktur schaffen, die den Zyklus beachtet und im besten Fall sogar nutzt, ist das eine Win-win-Situation für alle.
Dabei geht es beim zyklusorientierten Arbeiten bei Weitem nicht nur um die Mens. Auch wenn die Einführung von Menstruationsurlauben und Hygieneartikeln in WCs das vielleicht vermuten lässt.
«Wenn wir eine Arbeitsstruktur schaffen, die den Zyklus beachtet und im besten Fall sogar nutzt, ist das eine Win-win-Situation für alle. Mitarbeitende lernen Selbstfürsorge. Sie lernen, offen über ihre Bedürfnisse zu sprechen. Unsere Wirtschaft profitiert, wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gesund bleiben. Letztlich benötigen wir eine Arbeitskultur, die Inklusivität herstellt – das Bewusstsein für den Menstruationszyklus zu fördern, ist ein Teil davon», sagt auch die Gesundheitsökonomin Katharina Eggert. Sie ist beim Deutschen Institut für Zyklusgesundheit (IZG) tätig.
Doch das sei Zukunftsmusik, so Fee Reinoso, Mitglied beim IZG und Gründerin einer HR-Beratungsfirma: «Immer mehr Unternehmen interessieren sich für Zyklusmanagement – was toll ist. Aktuell mache ich aber vor allem Sensibilisierungsarbeit und gebe Impulse.»
An konkreten Umsetzungen, wie flexiblen Arbeitszeiten oder Ruheräumen für Menstruierende, scheitert es aber noch. Ob es an den immer noch vorwiegend männlichen Entscheidungsträgern in Unternehmen liegt? An Zeit und Geld?
Kein Research in Sicht
Dabei wäre es wichtig, so Fee Reinoso: «24 Prozent der Gesamtfehltage von Menstruierenden im Job sind zyklusbedingt. 80 Prozent fühlen sich durch zyklische Symptome in ihrer Produktivität gehemmt.»
Liessen sich die Entscheidungstragenden mit wissenschaftlichen Fakten überzeugen? «Nein, denn es wird nicht mal untersucht, was zyklusorientiertes Arbeiten bringt. Wir wissen aus anderen Untersuchungen, dass gesunde Menschen besser arbeiten. Dass Menschen, die sich gesehen fühlen, sich wohler fühlen. All das können wir in die zyklusorientierte Arbeit einbeziehen.» Schlussendlich sind das aber nur Hypothesen.
Hoher Östrogenspiegel gleich besseres Verständnis?
Woher kommen dann die Konzepte der Job-Hormoncoaches? «Östrogen wird damit assoziiert, dass es das Gedächtnis und die Aufnahme von neuem Wissen fördert», erklärt Vanadin Seifert-Klauss. Daraus könnte man schliessen, dass sich ein hoher Östrogenspiegel für knifflige Aufgaben im Joballtag nutzen liesse.
«Doch anzunehmen, dass das bei jeder Frau funktioniert, wäre falsch.» Ausserdem sei der Eisprung selbst ein wenige Stunden andauerndes Geschehen. «Wir können nicht alle wichtigen Aktivitäten auf diesen einen Moment legen, fürchte ich.»
Vielleicht wäre mir das Schreiben dieses Textes leichter gefallen, wenn ich ihn 15 Tage später verfasst hätte. Vielleicht liefert die Wissenschaft in einigen Jahren konkrete Belege dafür.
Bis dahin heisst zyklusorientiertes Leben für mich: Genau hinschauen, hineinspüren und umsetzen, was sich in allen Lebensbereichen gut und gesund anfühlt. Und das würde wohl den meisten Menschen – ob mit oder ohne Menstruationszyklus – guttun.