In der Schweiz würden an diesem Tag wohl nur Hartgesottene aufs Rad steigen. Ganz anders in Nijmegen, die zehntgrösste Stadt der Niederlande mit 180'000 Einwohnern. Fahrradreifen zerschneiden im Takt die Regenpfützen. Mal ist es ein normales Velo, mal ein E-Bike, dann ein Transport-E-Bike.
Schon morgens um acht rollt Fahrrad an Fahrrad über die sogenannte Velobahn in die Stadt. Dieses breite, rote Band, das seit ein paar Jahren die 20 Kilometer voneinander entfernten Städte Arnhem und Nijmegen verbindet. Ein Pionierprojekt, das unterdessen weltweit Nachahmer findet. Bald auch in der Schweiz. Velobahnen sollen das E-Biken sicherer und damit auch attraktiver machen.
Die neuen, nachhaltigen Autobahnen
Die Velobahn, das Fahrradpendant zur Autobahn, ist die spektakulärste Reaktion auf den E-Bike-Boom, seine Chancen und Probleme. In den Niederlanden haben Velobahnen bereits Tausende Autopendler zum Umsteigen bewegt. Der Stadtplaner Sjors van Duren ist der Initiator der Velobahnen. Er erzählt: «Wir haben grössere Agglomerationen mit sicheren und bequemen Radwegen verknüpft. Und genau das hat dafür gesorgt, dass insbesondere das E-Bike im Wettbewerb mit dem Auto zur attraktiven Alternative wurde.»
Seit der Eröffnung der Velobahn fahren auf der Autobahn zwischen Arnhem und Nijmegen in Pendlerrichtung zehn Prozent weniger Autos. Natürlich ist die Velobahn auch für die motorlosen Fahrräder gebaut. Doch die Distanz ist prädestiniert für das Pendeln mit schnellen E-Bikes. Auto und auch Zug sind kaum schneller. Und weil eine Velobahn vier bis fünf Meter breit ist, kommen E-Bikes den Motorlosen nicht in die Quere. Auch die kreuzungsfreie Führung der Velobahn macht sie sicherer für alle. Und Sicherheit ist ein zentrales Thema bei der Diskussion rund um das E-Bike.
Mehr E-Bike-Unfälle?
Jährlich steigt in der Schweiz die Anzahl schwerverletzter und getöteter E-Bike-Fahrerinnen und -fahrer. Es fehlen zwar Zahlen zur (zunehmenden) Kilometerleistung von E-Bikes. Doch die praktisch parallele Entwicklung von Verkaufszahlen und Unfällen deuten darauf hin, dass die steigenden Unfallzahlen auch Abbild der häufigeren Nutzung sind. Branchenkenner gehen davon aus, dass unterdessen 1.3 Millionen E-Bikes auf Schweizer Strassen fahren. Nur: Sie alle verkehren auf Strassen, die entweder für Autos oder langsamere Velos gebaut worden sind. Noch.
Baden – Zürich auf der Velobahn
Seit diesem Jahr werden nun aber auch in der Schweiz erste Velobahnen nach niederländischem Vorbild konkret geplant. Eine Studie des Bundesamtes für Strassen Astra zeigt: In der Schweiz könnte der Verkehr auf Autobahnen, die parallel zu den geplanten Velobahnen liegen, um zwei bis vier Prozent zurückgehen. Bis diese Velobahnen aber fahrbereit sind, wird es Jahre dauern. Auf Termine zur Eröffnung mag sich niemand festlegen.
Die E-Bike-Stadt
Doch nicht nur Velobahnen sind mit dem E-Bike-Boom in den Fokus der Verkehrsplaner gerückt. Auch die Schweizer Städte müssen neu gedacht werden, soll das Radfahren sicherer und damit attraktiver werden. Die ETH-Studie namens E-Bike-City untersucht derzeit einen radikalen Umbau von Zürich. Was passiert, wenn die Hälfte der Strassenfläche für E-Bikes und Co. reserviert würde?
Der Schüssel zur Erreichung der Klimaziele?
Der ETH-Professor Kay Axhausen ist der Initiator der Studie. Er sagt zur Motivation: «Nur über eine Umlagerung von motorisiertem Individualverkehr hin zu mehr Rad- und Langsamverkehr können wir in den Städten die Klimaziele erreichen.» Allein mit der Elektrifizierung der Fahrzeuge schaffe man das nicht.
Prognosen der ETH zeigen, dass ein Umstieg von Verbrennungs- auf Elektromotoren anfänglich zwar zu einer tieferen CO₂-Gesamtbilanz führen würde. Diese würde aber in der nahen Zukunft durch Bevölkerungswachstum, mehr Fahrkilometer der Elektroautos wegen geringerer Umweltbedenken und der Bequemlichkeiten des autonomen Fahrens wieder wett gemacht.
Die Studie E-Bike-City will nun die Grundlagen dazu erarbeiten, wie Menschen motiviert werden können, auf das E-Bike oder Velo umzusatteln. Klar ist: Zentral ist dazu die Sicherheit. Doch wie erreicht man das? Auch hier haben sich die Forschenden vom Veloland Niederlande inspirieren lassen.
Velounfall in Zürich wahrscheinlicher als in Amsterdam
Amsterdam wird seit 50 Jahren zur Bike-City umgebaut – mit Erfolg. Meredith Glaser von der Universität Amsterdam hat sich mit der Historie der Velostadt Amsterdam befasst: «Sobald es die verkehrsberuhigten Strassen gab, gingen in der Stadt die Unfälle mit Verletzten und Getöteten massiv zurück.» Das Risiko, sich bei einem Velounfall tödlich zu verletzen, ist heute in Amsterdam rund drei bis vier Mal geringer als in Zürich.
Die Verkehrsingenieurin Clarissa Livingston erarbeitet Planungsgrundlagen für die E-Bike-City und ist selbst schon in Amsterdam Rad gefahren: «Ich fand die Verkehrsführung in Amsterdam für Velos sehr intuitiv.» Die Radbereiche sind klar mit rotem Belag markiert, Radrouten sind durchgehend.
Plötzlich verschwindende Radstreifen wie hierzulande? Fehlanzeige. Und jetzt wird aus der Bike-City Amsterdam auch eine E-Bike-City. Das, nachdem mehr und mehr Amsterdamer sich beklagt haben, dass der Stadtverkehr mit den immer zahlreicheren E-Bikes gefährlicher geworden sei.
Sobald es die verkehrsberuhigten Strassen gab, gingen in der Stadt die Unfälle mit Verletzten und Getöteten massiv zurück.
Auto zu Gast
Dabei stellt sich ein ähnliches Problem wie in Schweizer Städten: der beschränkte Raum. Velos brauchen auch innerstädtisch im Idealfall eine mindestens zwei Meter breite Spur, um sich gefahrlos überholen zu können. So werden nun die niederländischen Radstreifen über die ganze Fahrbahn ausgedehnt und das Tempo wird auf 30 km/h gedrosselt. Für alle. Und den Autos wird klar signalisiert, dass sie auf diesen Strassen «te gast», also zu Gast sind.
Wie aber würde die Umsetzung einer E-Bike-City in Zürich aussehen? Mehr Raum für Velos bedeutet auch weniger Platz für Autos. Der Professor für Verkehrsplanung und Transportsysteme Kay Axhausen betont, dass die Zufahrtsmöglichkeiten für Handwerker, für Menschen, die auf das Auto angewiesen sind oder für Rettungsfahrzeuge bestehen bleiben sollen. Es würden ja nicht 100 Prozent, sondern 50 Prozent für die Velos ausgeschieden, sagt er. Nun untersucht eine der Teilstudien, wie das über ein Einbahnsystem gewährleistet werden kann.
Studie zum Mitmachen
Weitere Studien innerhalb des Projektes E-Bike City wollen wissen, wie gross der Umsteigeffekt überhaupt wäre und wer von welchem Verkehrsmittel umsteigen würde. Dazu wurde auch die Studie Ebis lanciert. Hier können E-Bikende selbst mithelfen, Daten zum Nutzungsverhalten zu generieren. Damit die Forschenden zum Beispiel sehen können, welche Routen E-Bikende bevorzugen.
E-Bike City für Unentschlossene
Ein weiteres Teilprojekt von E-Bike City will wissen, welche Gestaltungselemente sich positiv auf das Sicherheitsempfinden auswirken. Erste Erkenntnisse zeigen: Sind Radwege klar getrennt vom übrigen Verkehr und von Tramschienen, fühlen sich Velofahrende sicherer. Aber auch eingefärbte Flächen und durchgezogene Trennlinien zwischen Velo- und Autoverkehr helfen. Insbesondere Senioren, Eltern und Frauen. Alles Bevölkerungsgruppen, die wegen der Gefahren des Verkehrs heute noch oft aufs Velo oder E-Bike verzichten.
Wie in Zürich, so in Bern, Basel oder St. Gallen
Wenn in drei Jahren die Ergebnisse der Studie E-Bike-City vorliegen, sollen diese auch anderen Schweizer Städten helfen, ihr Radwegnetz zu planen. Kay Axhausen ist überzeugt: «Funktioniert eine E-Bike-City in Zürich, wird sie auch in anderen Städten funktionieren.» Schliesslich sei Zürich die grösste Herausforderung für Schweizer Verkehrsplaner.
Zurück in den Niederlanden. Wo die Menschen trotz Regenwetter über viele Kilometer mit dem Rad in die Stadt pendeln. Tatsächlich zeigen Erhebungen, dass selbst bei schlechtem Wetter noch immer 80 Prozent der Schönwetterfahrerinnen und -fahrer das Rad oder E-Bike benutzen. Wohl nicht allein, weil die Niederländer besonders wetterfest sind, sondern weil eine sichere und komfortable Radverbindung die Grundlage dafür ist, dass man sich wohlfühlt und so den Umstieg auf E-Bike oder Velo wagt.