Das Boot schwankt leicht, als Kristy Deiner sich hinunterbeugt und den Probenbehälter mit etwas Wasser aus dem Hallwilersee füllt. Die Professorin für Umwelt-DNA an der ETH Zürich hat eine Vision: Sie will den weltweiten Artenschutz einen entscheidenden Schritt nach vorne bringen. Und die Probe Seewasser ist der Schlüssel dazu.
Umwelt-DNA fasziniert, weil es sich anfühlt, als ob man alle Sterne des Universums auf einmal einfängt
Im Wasser schwimmt DNA – ganz und in Bruchstücken. Jede Menge davon. Darauf hat es die Molekularökologin abgesehen. Denn die DNA verrät, wer alles im und rund um den Hallwilersee lebt. «Umwelt-DNA fasziniert, weil es sich anfühlt, als ob man alle Sterne des Universums auf einmal einfängt», schwärmt Deiner.
Aufwendig, langwierig und teuer
Bisher ist die Überwachung der Artenvielfalt aufwendig und teuer. In regelmässigen Abständen werden in teils wochenlanger Feldarbeit Pflanzen-, Pilz-, Tierarten oder ihre Hinterlassenschaften gesammelt, gefangen, gezählt und kartiert. Die erhobenen Daten sind dadurch kaum vergleichbar, was es oft schwierig macht, ein Gebiet einheitlich zu erfassen.
Umwelt-DNA – auch environmental oder eDNA genannt – ermöglicht die Erfassung der Artenvielfalt schnell, einfach und kostengünstig. Und alle Arten werden mit der gleichen Methode erfasst.
Spuren in der Umwelt verraten Anwesenheit
Jedes Lebewesen hinterlässt permanent Spuren seiner individuellen Erbinformation in der Umwelt. Laub, Kot, Federn, Schleim – überall steckt DNA drin. Diese lässt sich sammeln und wird anschliessend sequenziert. Herauskommt eine lange Liste an DNA-Sequenzen, also Buchstabenabfolgen.
Um herauszufinden, von welcher Art die einzelne Sequenz stammt, ist ein Abgleich dieser mit in DNA-Vergleichsdatenbanken hinterlegten Sequenzen nötig. Das Problem: Die Datenbanken sind lückenhaft. Die Sequenzen zahlreicher Arten fehlen. Verschiedene ambitionierte Projekte wollen dies in den kommenden 10 Jahren allerdings ändern.
Paradigmen-Wechsel in der Forschung
Für Kristy Deiner steht das Potenzial der Methode daher auch nicht in Frage. «Für Wissenschaftlerinnen, Biologen, Ökologinnen ist das wirklich ein Paradigmen-Wechsel, weil wir jetzt einen Zugang zu Informationen haben, den wir so noch nie hatten.» Auch erste Anwendungen in der Praxis sind vielversprechend.
Möglich sei aber noch viel mehr, ist Kristy Deiner überzeugt. Ihr Ziel sind breite, grossflächige Anwendungen. Weil DNA mobil ist, geht sie davon aus, dass sich die gesamte Artenvielfalt im ganzen Wasser-Einzugsgebiet eines Sees mit Umwelt-DNA erfassen lässt.
«Sobald DNA ins Wasser gelangt, wandert sie mit dem Wasser. Man kann sich gut vorstellen, wie DNA in einen Fluss gelangt und dann zum See fliesst, sodass der See wie ein Schwamm wirkt, der all die DNA aufsaugt. Und vermutlich ist sie lang genug da, dass wir sie sammeln können. Die Information, die wir so erhalten, ist für die gesamte Wasserscheide», erklärt Deiner.
Weltweit gibt es gut 1,4 Millionen Seen, die durch ihre Einzugsgebiete gut 25 Prozent der Erdoberfläche abdecken. Durch einfache Wasserprobenentnahme könnte künftig also die Biodiversität einer immens grossen Fläche erfasst werden. Kristy Deiner steht bereits in Kontakt mit Forschenden weltweit, um ihre Vision möglichst schnell Wirklichkeit werden zu lassen.