Am Anfang war der Zufall. Eigentlich wollte Carolin Dittrich vom Naturkundemuseum Berlin herausfinden, ob Grasfroschmännchen grosse Weibchen bevorzugen. Sie brachte jeweils zwei Weibchen mit einem Männchen zusammen. Dann liess sie die Tiere in Ruhe. Während eine Kamera filmte.
Die Aufnahme zeigte Merkwürdiges. In einem der Wasserbecken klammerte sich ein Männchen an ein lebloses Weibchen. «Ich war erstaunt, denn ich hatte nach den Versuchen kein totes Tier entdeckt».
Weibchen machen den Toten Mann
Das Weibchen hatte offensichtlich den Toten Mann gemacht, damit das Männchen von ihm abliess. Der Plan des Froschweibchens war aufgegangen und Carolin Dittrich hatte eine neue Forschungsfrage: Haben Grasfroschweibchen noch andere Tricks auf Lager, um männliche Kletten loszuwerden?
Ja, haben sie. Rotation um die eigene Achse, ist die häufigste Taktik, um unerwünschte Klammerer abzuschütteln.
Fake News im Froschteich
Die Evolutionsforscherin stiess noch auf eine weitere Strategie. Grasfroschweibchen haben zwei «Lass-mich-los-Rufe» im Repertoire. Einen haben sie den Männchen abgehört. Er bedeutet: «Hallo, ich bin ein Männchen». Männchen brauchen ihn, wenn ein anderes Männchen sie besteigen will.
In der Hälfte aller Fälle sind die Strategien erfolgreich. Dennoch verenden viele Weibchen während der kurzen, explosiven Paarungszeit. Sie sterben an Stress und Erschöpfung oder sie werden erdrückt, wenn mehrere Männchen sich an sie klammern.
Aggressives Paarungsverhalten ist häufig
Viele Tierarten haben ein aggressives Paarungsverhalten. Bei Wasservögeln, bei Bettwanzen, Fischen oder bei Primaten wie den Orang-Utans.
Aber welchen evolutionären Nutzen hat dieses fatale Verhalten? Das schadet doch der ganzen Art? Die Frage sei falsch gestellt, sagt Lukas Schärer vom zoologischen Institut der Universität Basel. Beim Paarungsverhalten gehe es nicht um die Art, sondern ums Individuum.
Geschlechterkonflikte treiben die Evolution an
Das einzelne Tier will seine Gene weitergeben. Haben die Geschlechter bei der Fortpflanzung unterschiedliche Interessen, kommts zu einem sexuellen Konflikt.
Sexuelle Konflikte sind Treiber der Evolution. Im Wettstreit entwickeln sich die Geschlechter in einer gegensätzlichen Koevolution weiter. «Die Männchen erfinden zum Beispiel eine Angriffstechnik. Dann erfinden die Weibchen eine Verteidigungstechnik. Dann erfinden die Männchen etwas, mit dem sie die Verteidigungstechnik umgehen…», so Schärer.
Raffinierte Anatomie und verlorene Spermien
Am besten untersucht ist das evolutionäre Konzept des sexuellen Konflikts bei den Wasservögeln. Männliche Stockenten etwa haben einen spiralig gewundenen Penis. Die Vagina der Weibchen ist ebenfalls spiralig gewunden, aber gegenläufig. Das macht ein Eindringen schwierig.
Bei manchen Entenarten haben die Weibchen zusätzlich zum Vaginalgang mehrere Sackgassen entwickelt. Sie lassen die Spermien eines unliebsamen Erpels gezielt ins Leere laufen.
Beim Geschlechterkonflikt der Grasfrösche liegt die Hoheit derzeit eher bei den Männchen. Die Untersuchung von Carolin Dittrich hat aber gezeigt, die Weibchen sind nicht so passiv wie bisher angenommen.
Und ja, auf ihre ursprüngliche Frage hat Dittrich auch eine Antwort gefunden: Den Männchen ist's egal, wie gross die Weibchen sind. Sie greifen nach allem, was sich bewegt.