- Die winzigen Bärtierchen lassen sich von blossem Auge nicht erkennen – sind aber für die Forschung hochinteressant.
- Indem sie sich in einen todesähnlichen Zustand versetzen, überleben die Tierchen extreme Umweltbedingungen.
- Forscher untersuchen diese Überlebensstrategien – und hoffen dadurch der Unsterblichkeit des Menschen ein Stück näher zu kommen.
Sie werden staunen. Draussen, in der Einfahrt Ihres Hauses, in den schmalen, moosbewachsenen Streifen zwischen den Pflastersteinen, tummeln sich winzige Lebenskünstler.
Diese Wesen sehen hochskurril aus, mit ihren acht Beinen und dem staubsaugerähnlichen Rüsselgesicht. Und nicht nur das: Sie haben Fähigkeiten, von denen wir Menschen seit Jahrtausenden träumen.
Wie 200 Jahre in der Wüste
Die Bärtierchen, auch Tardigraden genannt, sind wahre Überlebensgenies. Sie überstehen extreme Temperaturen von bis zu minus 270 Grad, Radioaktivität, Flüssigethanol. Selbst in einem Vakuum oder bei absoluter Trockenheit können sie jahrelang in einem todesähnlichen Zustand verharren: dem Zustand der Kryptobiose.
Dafür ziehen sie all ihre Gliedmassen wie Antennen ein und schrumpfen zu einem erstaunlich kompakten Haufen zusammen, dem sogenannten «Tönnchen». Sie stellen ihren Stoffwechsel ein und warten auf bessere Zeiten.
Das wäre in etwa so, als würde sich ein Mensch in die Sahara begeben und in der sengenden Hitze zu einem Hautknäuel zusammen schrumpeln, um zweihundert Jahre später bei starken Monsunregen wieder zum Leben zu erwachen.
Ein Protein als Superkraft
Wissenschaftler haben erst kürzlich herausgefunden, dass die Tiere über ein besonderes Protein verfügen, das für die Reparatur ihrer DNA zuständig sein soll. Denn jede Aussetzung extremer physikalischer Kräfte, wie Frost, Hitze und Witterung, gehen in der Regel nicht spurlos an Organismen vorüber.
Dies ist der Grund weshalb es bis heute nicht gelungen ist, einen eingefrorenen Menschen wieder zum Leben zu erwecken. Die Schäden, die durch das Einfrieren in den Zellen entstehen, sind bisher irreparabel und damit tödlich.
Mittlerweile gibt es Versuche, in denen das bärtierchenspezifische D-Sub-Protein extrahiert und in menschliches Gewebe injiziert werden konnte. Erstaunlicherweise war dieses Gewebe danach wesentlich strahlungsresistenter als zuvor.
Überleben im All
Nicht weniger beindruckend ist, dass das Bärtierchen als erstes Tier gilt, das im Weltall frei überleben kann. Per Satellit hatten Forscher aus Deutschland und Schweden 2007 mehrere Proben mit Bärtierchen ins All geschickt, um zu sehen, ob die Tiere der Luftleere, der Kälte und den tödlichen UV-B-Strahlen gewachsen sind. Ein Teil der Tiere überlebte tatsächlich.
Wegweiser zur Unsterblichkeit
Während wir Menschen mithilfe von Strahlentherapie, Organtransplantationen, Superfood-Diäten, Cypertechniken und Anti-Aging-Produkten versuchen der Sterblichkeit ein Stück weit zu entkommen, ist es beinahe zynisch, wie spielerisch leicht die kleinen Bärtierchen ihr Leben um ein Vielfaches verlängern können.
Eines Tages könnten uns so die Erkenntnisse aus der Bärtierchenforschung unserem Ziel vielleicht näher bringen. Schon heute sind einige Ergebnisse dieser Forschung in die militärische Trockenblutkonservierung eingeflossen.
Normales Leben ist kurz
Doch auch das Bärtierchen ist sterblich. Vielleicht ist es ja ein Trost zu wissen, dass eine Tardigrada, ohne kryptobiotische Off-Zustände, einer natürlichen Lebensdauer von gerade einmal 2 Jahren unterliegt.
Irgendwann färbt sich auch sein Körper dunkler und wird von immer mehr Pigmentflecken übersät. Die Bewegungen werden unkoordiniert, bis das Tier schliesslich stirbt.
Das Moos lebt
Wenn Sie das nächste Mal Ihr Haus verlassen und über die Pflastersteine mit den dazwischen liegenden Pflasterritzenmoosen schreiten, dann denken Sie vielleicht weniger an eine fällige Unkrautbehandlung. Sondern denken Sie vielmehr an die mikrobiotischen Lebenskünstler unter ihren Schuhsohlen, von denen wir noch viel lernen können.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Passage, 31.03.2017, 20 Uhr