Es ist Ebbe. Am Strand von Hillion legt das Meer eine Reihe von Stangen frei. Ein Warnschild informiert, dass der Strand rechts davon verboten ist, weil im Schlick Grünalgen faulen können, eine potenziell tödliche Gefahr. Die «Ulva armoricana» macht der Region schon seit bald 40 Jahren zu schaffen. Im vergangenen Jahr hat sie sich besonders stark vermehrt.
Zu viel Gülle auf den Feldern
Der Meeresgeograf Jean-Yves Piriou hat die spezifisch bretonische Alge am Forschungsinstitut IFREMER untersucht. Er hat schon 1996 nachgewiesen: Hauptgrund für das unkontrollierbare Algenwachstum sind die Nitrate aus der Landwirtschaft.
Mittlerweile ist Piriou Rentner und engagiert sich in einem Verein, der die Wasserqualität in der Bretagne verbessern will. Er warnt: «Wenn die Algen verrotten, bildet sich eine Kruste und darunter sammelt sich Schwefelwasserstoff. Wenn eine solche Kruste aufgebrochen wird, entweicht das hochgiftige Gas.» Auf diese Weise seien schon allerhand Tiere gestorben und auch Menschen.
Im Schlamm erstickt
Von dieser verborgenen Gefahr ahnten Roswitha Auffray und ihre Familie aber nichts, bis ihr Mann vom Joggen nicht nach Hause kam. Auffray fand ihn schliesslich tot neben einem sandigen Flussbett, unweit vom Strand. «Wir haben überhaupt nicht an Gase gedacht. Wir haben gedacht, er ist da im Schlamm stecken geblieben.»
Das war 2016. Zuvor sind möglicherweise schon zwei weitere Männer durch Grünalgen ums Leben gekommen. Um sicher zu sein, bräuchte es eine rasche Laboranalyse. Eine solche wurde bisher nur bei einem Pferd gemacht. So konnte bewiesen werden, dass das Tier tatsächlich am Schwefelwasserstoff verendet ist.
Bei den mutmasslichen menschlichen Opfern hingegen kamen diese Analysen stets zu spät. Umweltschützerinnen und Umweltschützer kritisieren, die Behörden wollten die Gefahr verschleiern, um die Agrarindustrie und den Tourismus zu schonen.
Günstiges Klima für Grünalgen
Übermässiges Algenwachstum aufgrund zu vieler Nährstoffe beobachtet man an vielen Küsten weltweit. Aber die Bretagne bietet besonders günstige Voraussetzungen dafür. In den grossen seichten Buchten erneuern sich die Wassermassen trotz Ebbe und Flut nur mässig. Das Klima ist mild und feucht, und aus der intensiven Tierhaltung gelangt eben enorm viel Gülle auf die Felder.
Sylvain Ballu arbeitet im Zentrum zur Erforschung und Nutzung von Algen – kurz CEVA genannt. «Wir verzeichnen hier sehr viel mehr Regenwasser als Luft und Boden aufnehmen können», sagt der Agronom. «Deshalb werden alle Stoffe ins Grundwasser gespült. Selbst wenn Mais und Getreide ganz präzise gedüngt werden, sickern die Nitrate durch.»
Kurswechsel erforderlich
IFREMER und CEVA haben nachgewiesen, dass nur eine starke Reduzierung des Stickstoffs aus der Landwirtschaft einen Rückgang der Grünalgen bewirken kann. Derzeit liegen die Nitratwerte in den bretonischen Gewässern bei durchschnittlich 30 Milligramm je Liter. In besonders sensiblen Küstenabschnitten muss dieser Wert aber unter zehn Milligramm gesenkt werden, so die Modelle der Forscher. Das klingt vielleicht nach wenig, erfordert aber enorme Anstrengungen der Landwirte.