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«10 vor 10»-Serie «Changemakers»: Pilzforscher Patrick Mürner
Aus 10 vor 10 vom 06.09.2023.
abspielen. Laufzeit 6 Minuten 41 Sekunden.

Unterschätzte Superhelden 5 Fakten, die zeigen, dass Pilze mehr als wabbelige Beilagen sind

Baumaterial, Medikamente, Verpackungen: Für viele Forschende gehören Pilze nicht bloss auf den Teller. Warum, erfahren Sie hier.

Taucht man in ihr Universum ab, grenzt es schon fast an Beleidigung, dass viele nur ihren fleischigen Fruchtkörper kennen. Die Kolleginnen von Champignons, Shiitake und Pfifferlingen beeindrucken nämlich mit ihren Superkräften unter der Erde – und nicht auf dem Teller.

Freigesetzt werden die Kräfte durch das unterirdische Netzwerk der Pilze, das sich aus fadenförmigen Strukturen, dem Myzel, zusammensetzt. Durch sie geben Pilze fast alle Mineralien, die sie im Boden vorfinden, an die umliegenden Pflanzen ab. Umgekehrt versorgen Bäume sie mit Zucker. So wachsen sie.

Pilz-Posten zum Prahlen

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  • Das unterirdische Netzwerk des grössten bekannten Pilzes der Welt ist 8000 Meter lang und 500 Meter breit. Es gehört zu einem Hallimasch, der im Schweizer Nationalpark wächst.
  • 2.2 bis 3.8 Millionen Pilzarten gibt es weltweit. Aber erst 120'000 Pilzarten sind wissenschaftlich beschrieben.
  • Jährlich werden derzeit 2000 neue Arten entdeckt, so der Weltpilzbericht, den Forschende des Royal Botanic Gardens in London veröffentlicht haben.
  • 25 bis 50 Prozent der Biomasse im Erdboden besteht aus Myzel. Bis zu 500 Meter dieser Pilzfäden durchziehen einen Teelöffel Humusboden.
  • Auf knapp 55 Billionen Dollar wird der Wert all der Leistungen geschätzt, die Pilze für die Menschheit erbringen. Das entspricht der Hälfte des globalen Bruttosozialprodukts, so ein Bericht im Journal Fungal Diversity. Um auf diese Zahl zu kommen, haben Forschenden alle Wirtschaftsbereiche identifiziert, in denen Pilzprodukte eine Rolle spielen, und dann versucht, für jeden Bereich einen Marktwert zu ermitteln.

Obwohl gerade ein Bruchteil aller Superpilze wissenschaftlich untersucht sind, glauben viele Forschende, dass einige Probleme der Welt mithilfe von Pilzen gelöst werden könnten. Tatsächlich gibt es Indizien.

Pilze als Hausbau-Changer

Wie wir heute bauen, braucht Unmengen an CO₂. Insbesondere Herstellung und Abbau von herkömmlichem Beton ist sehr CO₂-intensiv.

Beton – der Klimasünder

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Wäre Beton ein Staat, würde er in der Rangliste der grössten Klimagefährder Rang drei erreichen, gleich hinter China und den USA. In der Schweiz machen Bauabfälle 84 Prozent aller Abfälle aus.

Quelle: Bafu / EPFL (Stand 2022)

Der Emmenbrücker Mykologe Patrick Mürner forscht vorwiegend an nachhaltigen Alternativen zu Baumaterialien. Er ist einer der fleissigsten Pilzforschern in der Schweiz. Sein grosses Ziel: Irgendwann ein Tiny House aus Pilzen bauen zu können. In Säcken, in denen Sägemehl und Pilze miteinander zu einer stabilen Masse verwachsen, entsteht bereits Stoff für Isoliermaterial und Bodenplatten.

Ein Mann hält zwei Pilze in die Luft
Legende: Der Schweizer Mykologe Patrick Mürner mit seinen Rohstoffen für den Bau. zvg

«Man spart mit dieser Pilzmischung massiv CO₂ ein.» Bei der Herstellung wird keine Wärme benötigt, weil sie bei Zimmertemperatur aushärtet. «Ausserdem können wir mit dem Pilz den Kohlenstoff, der in den Holzfasern gespeichert ist, binden.» Bei einem Haus wäre das CO₂ also in den Wänden eingeschlossen.

Wie hoch ist das Potenzial wirklich?

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Die Eidgenössische Forschungsanstalt WSL sieht das grösste Potenzial von Pilzbaustoff in der Isolation – hier könne er mit Glasfasern und Mineralwolle mithalten. Patentmonopole, die vor allem in den USA ansässig sind, schränken Forschung und industrielle Anwendung allerdings noch ein.

Pilze als Boden-Reiniger

Pilze zersetzen ihre Nahrung mit Enzymen. Unter «Nahrung» verstehen sie allerdings etwas anderes als wir. Im Amazonas gibt es etwa einen Pilz, der den Kunststoff Polyurethan zersetzt.

Forschende wollen zukünftig auf diese Eigenschaft setzen: Wenn Industrieanlagen vergiftete Böden hinterlassen, könnten Pilze dafür eingesetzt werden, das Gift zu zersetzen oder in ihren Fäden zu binden. Expertinnen und Experten nennen das «Bioremediation».

Pilze als Medizin

Ob Penizillin oder Statine, die den Cholesterinspiegel im Blut absenken: Beides wird aus Pilzen extrahiert. Auch der Wirkstoff Cyclosporin A, der die Immunabwehr unterdrückt und bei Transplantationen zum Einsatz kommt, wird aus dem Schlauchpilz Tolypocladium inflatum isoliert. Tatsächlich stammen auch Wirkstoffe, die gegen Pilzinfektionen eingesetzt werden, aus Pilzen.

Und in der Traditionellen chinesischen Medizin kommen sogenannte «Vitalpilze» zum Einsatz: Der Reishi ist der bekannteste Vertreter – allerdings gibt es nur wenige stichhaltige Studien, die die Wirksamkeit belegen.

Pillen und Pilze
Legende: Ob Lingzhi oder Reishi-Pilz – Vitalpilze werden in der TCM als Heilmittel eingesetzt. imago

Pilze als nachhaltige Verpackung

Styropor besteht zu 98 Prozent aus Luft und ist ein beliebtes Verpackungsmaterial. Ausserdem hat es eine gute Dämm- und Isolierwirkung. Seine Ökobilanz sieht aber düster aus: Die restlichen zwei Prozent bestehen nämlich aus Granulat, das aus Erdöl gewonnen wird. Ausserdem baut sich Styropor nicht ab und lässt sich kaum recyceln.

Viele Pilz-Tüftler und Verpackungsdesignerinnen sehen deshalb auch Potenzial in Pilzfaserverpackung. Sie ist kompostierbar, leicht und wasserabweisend. Beim schwedischen Möbelriesen und nachhaltigen Smartphone-Herstellern wurde sie bereits eingesetzt.

Pilze sind auch Fashion

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«Fine Mycelium» heisst das Material, das aus Pilzen entsteht und aussieht wie Kalbs- oder Schafsleder und von einem US-Unternehmen als nachhaltige und tierfreundliche Alternative hergestellt wird.

Vergangenes Jahr hatte das Leder, dessen Herstellungsverfahren bereits patentiert ist, sein Debüt in der Modewelt: Eine Art des Pilzleders wurde dafür verwendet, um die Victoria-Reisetasche von Hermès herzustellen.

SRF1, 10vor10, 06.09.2023, 21:50 Uhr

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