Taucht man in ihr Universum ab, grenzt es schon fast an Beleidigung, dass viele nur ihren fleischigen Fruchtkörper kennen. Die Kolleginnen von Champignons, Shiitake und Pfifferlingen beeindrucken nämlich mit ihren Superkräften unter der Erde – und nicht auf dem Teller.
Freigesetzt werden die Kräfte durch das unterirdische Netzwerk der Pilze, das sich aus fadenförmigen Strukturen, dem Myzel, zusammensetzt. Durch sie geben Pilze fast alle Mineralien, die sie im Boden vorfinden, an die umliegenden Pflanzen ab. Umgekehrt versorgen Bäume sie mit Zucker. So wachsen sie.
Obwohl gerade ein Bruchteil aller Superpilze wissenschaftlich untersucht sind, glauben viele Forschende, dass einige Probleme der Welt mithilfe von Pilzen gelöst werden könnten. Tatsächlich gibt es Indizien.
Pilze als Hausbau-Changer
Wie wir heute bauen, braucht Unmengen an CO₂. Insbesondere Herstellung und Abbau von herkömmlichem Beton ist sehr CO₂-intensiv.
Der Emmenbrücker Mykologe Patrick Mürner forscht vorwiegend an nachhaltigen Alternativen zu Baumaterialien. Er ist einer der fleissigsten Pilzforschern in der Schweiz. Sein grosses Ziel: Irgendwann ein Tiny House aus Pilzen bauen zu können. In Säcken, in denen Sägemehl und Pilze miteinander zu einer stabilen Masse verwachsen, entsteht bereits Stoff für Isoliermaterial und Bodenplatten.
«Man spart mit dieser Pilzmischung massiv CO₂ ein.» Bei der Herstellung wird keine Wärme benötigt, weil sie bei Zimmertemperatur aushärtet. «Ausserdem können wir mit dem Pilz den Kohlenstoff, der in den Holzfasern gespeichert ist, binden.» Bei einem Haus wäre das CO₂ also in den Wänden eingeschlossen.
Pilze als Boden-Reiniger
Pilze zersetzen ihre Nahrung mit Enzymen. Unter «Nahrung» verstehen sie allerdings etwas anderes als wir. Im Amazonas gibt es etwa einen Pilz, der den Kunststoff Polyurethan zersetzt.
Forschende wollen zukünftig auf diese Eigenschaft setzen: Wenn Industrieanlagen vergiftete Böden hinterlassen, könnten Pilze dafür eingesetzt werden, das Gift zu zersetzen oder in ihren Fäden zu binden. Expertinnen und Experten nennen das «Bioremediation».
Pilze als Medizin
Ob Penizillin oder Statine, die den Cholesterinspiegel im Blut absenken: Beides wird aus Pilzen extrahiert. Auch der Wirkstoff Cyclosporin A, der die Immunabwehr unterdrückt und bei Transplantationen zum Einsatz kommt, wird aus dem Schlauchpilz Tolypocladium inflatum isoliert. Tatsächlich stammen auch Wirkstoffe, die gegen Pilzinfektionen eingesetzt werden, aus Pilzen.
Und in der Traditionellen chinesischen Medizin kommen sogenannte «Vitalpilze» zum Einsatz: Der Reishi ist der bekannteste Vertreter – allerdings gibt es nur wenige stichhaltige Studien, die die Wirksamkeit belegen.
Pilze als nachhaltige Verpackung
Styropor besteht zu 98 Prozent aus Luft und ist ein beliebtes Verpackungsmaterial. Ausserdem hat es eine gute Dämm- und Isolierwirkung. Seine Ökobilanz sieht aber düster aus: Die restlichen zwei Prozent bestehen nämlich aus Granulat, das aus Erdöl gewonnen wird. Ausserdem baut sich Styropor nicht ab und lässt sich kaum recyceln.
Viele Pilz-Tüftler und Verpackungsdesignerinnen sehen deshalb auch Potenzial in Pilzfaserverpackung. Sie ist kompostierbar, leicht und wasserabweisend. Beim schwedischen Möbelriesen und nachhaltigen Smartphone-Herstellern wurde sie bereits eingesetzt.