Am Schluss ist es wie immer. Wolf Biermann sitzt auf der Bühne und singt seine Zugabe. «Ermutigung», einer seiner grössten Hits, entstanden vor über einem halben Jahrhundert für den verfolgten DDR-Dichter Peter Huchel:
Du, lass dich nicht verhärten
In dieser harten Zeit
Die allzu hart sind, brechen
Die allzu spitz sind, stechen
Und brechen ab sogleich
Und brechen ab sogleich…
Zeitlos, dieser Text. Und aktuell. Denn Biermann sagt, dass er dieses Lied trotz seiner Solidarität mit Israel auch für die Palästinenser singe. «Damit die sich gegen ihre schlimmsten Unterdrücker zur Wehr setzen, die Hamas.»
Zwei Brückenbauer
Neben Wolf Biermann sitzt Franz Hohler. Zusammen haben sie gerade einen Abend bestritten und von ihrer Freundschaft erzählt. Eine Freundschaft, die in einer Zeit, in der die Welt in zwei Teile zerfallen war, als Brücke gedient hat zwischen Ost und West.
Kennengelernt haben sich die beiden 1969. Wolf Biermann lebte in Ostberlin. Seine Kunst und später auch er waren dort verboten. Franz Hohler kam als Radiojournalist und stellte Fragen wie «Waren Sie ein guter Schüler?» oder «Können Sie schwimmen?». Ein Lacherfolg an diesem Abend im Rigiblick, als Franz Hohler die Aufnahme einspielen liess, genauso wie Wolf Biermanns flapsige Bemerkung «Was sind denn das für Fragen?».
Durch den Kanal und zum Dichter
Aber so schlecht waren die Fragen gar nicht. Denn das Schwimmen spielt tatsächlich eine Rolle in Biermanns Leben. 1943, während der Hamburger Bombennacht, als die ganze Stadt gebrannt hat und über 30'000 Menschen ums Leben gekommen sind, ist Wolf Biermann auf dem Rücken seiner Mutter durch den Kanal geschwommen. Ins Freie. So hat er überlebt. Und das habe ihn geprägt, wie er sagt. Das habe ihn zum Dichter gemacht und in die DDR geführt.
Um Prägung ging es vor allem an diesem Abend, und um die Frage, wie sich die Prägung aufs Dichten auswirkt. Besonders eindrücklich zeigt sich das an Biermanns Übersetzung des berühmten Shakespeare-Sonetts Nr. 66. Darin beschreibt der Dichter 12 Zeilen lang die Schlechtigkeit der Welt und kommt zum Schluss, dass er lieber sterben würde, als diese Welt noch länger zu ertragen. Doch dann kommen die letzten beiden Zeilen, die Biermann so übersetzt:
Müd’ von all dem, wär’ ich lieber tot, liess ich
Dabei in dieser Welt mein Liebchen nicht im Stich.
«Das hat mich umgehauen», sagt Wolf Biermann auf der Bühne und meint den Umstand, dass in diesem Sonett ein Menschenleben wichtiger sei als eine Idee. Das sei unmarxistisch.
Ein denkwürdiger Moment
«Die Marxisten wollten immer nur die Menschheit retten. Das einzelne Menschexemplar habe sie nie interessiert.» Einem Franz Hohler, der als Schweizer eine ganz andere Prägung hinter sich habe als er, dem musste man die Wichtigkeit der Liebe zum einzelnen Menschen nicht erst erklären. Das wusste der auch so.
Ein starker Moment auf der Rigiblickbühne. Und eine wichtige Erkenntnis für einen ehemaligen Kommunisten. Von denen es im Saal möglicherweise noch den einen oder anderen gegeben hat. Aber wie auch immer. Am Schluss singt Wolf Biermann seine «Ermutigung» und endete mit den Zeilen:
…. Wir woll’n es nicht verschweigen
In dieser Schweigezeit
Das Grün bricht aus den Zweigen
Wir woll’n das allen zeigen
Dann wissen sie Bescheid
Dann wissen sie Bescheid.